Heuer ist das ‚Internationale Jahr des nachhaltigen Tourismus für Entwicklung’ (International Year of Sustainable Tourism, #IY2017). Darum widmen wir uns in einer 4-teiligen Artikelserie dem Thema. In Teil 1 der Serie zum IY2017 haben wir uns mit den Auswirkungen des Tourismus befasst, in Teil 2 den Begriff Nachhaltigkeit genauer betrachtet. Damit nachhaltiger Tourismus möglich ist, sind einige Grundvoraussetzungen notwendig, die wir im dritten Teil der Serie vorstellen. Aufbauend auf diesen theoretischen Überlegungen wollen wir im folgenden vierten und letzten Teil der Serie Reisenden praktische Tipps für nachhaltiges Reisen mit auf den Weg geben.
Warum sollten TouristInnen auf nachhaltiges Handeln achten?
Laut der Weltorganisation für Tourismus (UNWTO) wurden im Jahr 2014 global 1.1 Milliarden grenzüberschreitende Reiseankünfte gezählt (im Vergleich zu lediglich 25 Millionen im Jahr 1950). Die weltweiten Tourismuseinnahmen beliefen sich in weiterer Folge im Jahr 2014 auf 1245 Milliarden Dollar. Aus diesen Zahlen wird die globale Bedeutung der Tourismusindustrie klar ersichtlich. Wenn dieses rasante Wachstum anhält, mit Blick auf die Schwellen- und Entwicklungsländer ist davon auszugehen, werden Überlegungen zu Ressourceneffizienz, Wohlstandsverteilung aber auch interkulturellem Verständnis immer drängender. War grenzüberschreitender Tourismus lange ein Phänomen, das von den westlichen Industrienationen in die restliche Welt ausging, so ändert sich dies mit der raschen Entwicklung in bevölkerungsreichen Ländern wie beispielsweise China und Indien. Umso wichtiger erscheint es, dass jede und jeder das eigene Reiseverhalten kritisch hinterfragt und versucht, Nachhaltigkeit bei der Reiseplanung, während der Reise und bei der Nachbereitung (Erzählungen, Fotos, etc.) mitzudenken und umzusetzen.
Anders reisen: Zum nachhaltigen Reisen gehört mehr als der ökologische Fußabdruck!
In den vorherigen drei Beiträgen zum #IY2017 haben wir bereits recht umfangreich erklärt, warum zum nachhaltigen Reisen weit mehr dazu gehört als der viel diskutierte ökologische Fußabdruck.
Zur Erinnerung: Nachhaltiges Reisen kann auf der ökologischen, ökonomischen und sozio-kulturellen Ebene verortet werden:
- Ökologische Ebene: Reduktion von Schadstoffen, Umweltschutz und Ressourcenschonung zur Erhaltung von globaler Biodiversität (Vielfalt)
- Ökonomische Ebene: Gerechtigkeit und Armutsbekämpfung, Kampf gegen schlechte Arbeitsbedingungen
- Sozio-kulturelle Ebene: Respekt vor und Verständnis für traditionelle Werte und kulturelle Eigenheiten, globales Denken und interkulturelle Verständigung
Im Folgenden haben wir praktische Tipps, wie man im Reisealltag einen Beitrag zur Nachhaltigkeit auf allen drei Ebenen leisten kann, zusammengestellt.
Nachhaltig unterwegs auf der ökologischen Ebene
Mobilität ist prinzipiell etwas Positives und sehr Begrüßenswertes. Sie trägt zur wirtschaftlichen Entwicklung und zu einem besseren interkulturellen Verständnis bei. Problemtisch wird es dann, wenn Mobilität zum Selbstzweck wird und nur mehr der individuellen Bedürfnisbefriedigung dient: ein Shopping-Trip nach Paris, für ein paar Tage FreundInnen in den USA besuchen, eine zweiwöchige Urlaubsreise nach Australien, etc. Die von machen Fluggesellschaften angebotenen Ausgleichszahlungen mit denen das CO2, das mit Flügen verursacht wird, „neutralisiert” oder „kompensiert” werden soll, kommen wohl eher einen Placebo gleich. Dieses entgrenzte Reiseverhalten stellt nicht nur langfristig ein Problem dar, sondern trägt bereits heute massiv zum CO2-Ausstoß bei. Nur durch eine starke Preiserhöhung der viel zu billigen Flugtickets könnte diesem Problem entgegengewirkt werden, damit einhergehend müssten alternative Reiseformen leistbarer werden. Ein derartiger Paradigmenwechsel ist allerdings von Seiten der Fluggesellschaften nicht absehbar und auch in den Köpfen der Reisenden dominiert oft der Wunsch nach billigen Reisemöglichkeiten auf Kosten des Umweltschutzes. Genau hier gilt es aber anzusetzen: Die politischen EntscheidungträgerInnen wären an dieser Stelle am Zug, um die dementsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen. Der so genannte freie Markt hat bis dato keinerlei Initiativen in diese Richtung gesetzt – ganz im Gegenteil, regelmäßig machen Meldungen über immer noch kürzere Flugverbindungen die Runde. Ende 2016 gipfelte diese absurde Entwicklung im kürzesten internationalen Linienflug der Welt. Lediglich 20 Kilometer trennen den schweizerischen Flughafen St. Gallen-Altenrhein vom deutschen Friedrichshafen. Die KonsumentInnen sollten daher bei der Wahl des Transportmittels die Angemessenheit und das Verhältnis zur Dauer des Aufenthalts bedenken. Muss es für eine zweiwöchige Urlaubsreise wirklich ein Langstreckenflug sein oder gäbe es nicht auch sehr lohnende Ziele in der näheren Umgebung, die beispielsweise mit der Bahn erreichbar sind?
Während der Reise gehört zur ökologischen Ebene auch der eigene Ressourcenverbrauch und der dabei entstehende Müll. Um möglichst ressourcenschonend zu reisen, sollte man Verpackungsmaterialien (Pet-Flaschen, Plastiksackerl/Plastiktüten, etc.) vermeiden und stattdessen wiederverwendbare Taschen (z.B. Stoffbeutel) und wiederbefüllbare Trinkflaschen verwenden. Weiters sollte man auf einen verantwortungsbewussten Umgang mit Wasser und Strom achten. Brauche ich in einer sehr trockenen Region unbedingt einen Pool? Ist fünfmal am Tag duschen unumgänglich? Und, muss die Klimaanlage tatsächlich den ganzen Tag laufen?
Bei Ausflügen und Touren sollte man Angebote von nachhaltigen Tourismus- bzw. TouranbieterInnen nutzen und darauf achten, dass die Unternehmen von Einheimischen geführt werden (mehr dazu unter dem Punkt ‚ökonomische Ebene’).
CHECKLIST ökologisch nachhaltig unterwegs:
- Langsames Reisen und alternative Transportmöglichkeiten (Bahn, Schiff, Bus) nutzen
- Auf den eigenen Müll und dessen bestmögliche Entsorgung achten
- Ressourcensparend handeln (z.B. bei Strom- und Wasserverbrauch)
- Angebote von nachhaltigen Tourismus- bzw. TouranbieterInnen nutzen
Nachhaltig unterwegs auf der ökonomischen Ebene
Auf der ökonomischen Ebene bewegt sich der Tourismus im Spannungsfeld zwischen Emanzipation und Abhängigkeit. Wenn eine Region nicht vom Tourismus profitiert, sondern die negativen Aspekte überwiegen, kann man von Abhängigkeit sprechen. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn für lokale Arbeitskräfte keine fairen Arbeitsbedingungen in der Hotellerie geschaffen werden, wenn die Infrastruktur nur auf die BesucherInnen ausgerichtet ist und die lokale Bevölkerung keinerlei Nutzen davon hat, wenn touristische Attraktionen von ausländischen InvestorInnen in Naturschutzgebieten errichtet werden, Preise für Lebensmittel, Transport und alltäglichen Bedarf für die Einheimischen unleistbar werden, oder wenn die Einnahmen der Tourismusindustrie nur internationalen Konzernen zugute kommen, etc. Diese Liste lässt sich unendlich fortsetzen und jede und jeder Reisende ist bestimmt schon einmal mit touristischer Ausbeutung in Kontakt gekommen. Auf der anderen Seite geht der Tourismus mit vielen Chancen für eine Region einher. Neben Jobs, die durch die Tourismusindustrie direkt geschaffen werden, entstehen darüber hinaus viele indirekt Arbeitsplätze in der „Zulieferindustrie“ – man denke an das Baugewerbe, Lebensmittelproduktion, Handel, etc. Zentral erscheint dabei, dass die touristischen Angebote von lokalen Betrieben und Unternehmen aufgebaut und betrieben werden und nicht ausländischen InvestorInnen und Konzernen überlassen wird. Von der für den Tourismus nötigen Infrastruktur (Straßen, Transportmittel, Wasser- und Stromversorgung, Telefon- und Internetverbindungen, Geschäfte, etc.) kann, wenn die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung berücksichtigt werden, eine ganze Region profitieren. Die gute Nachricht: Als TouristIn kann man diese Entwicklung beeinflussen und dazu beitragen, die lokale Tourismusindustrie zu stärke.
CHECKLIST ökonomisch nachhaltig unterwegs:
- In von Einheimischen geführten Unterkünften übernachten
- Lokale Transportmittel verwenden
- In lokalen Geschäften lokale Produkte einkaufen
- Reisen sollte keine Sparform sein – es sollte nicht darum gehen, so wenig Geld wie möglich auszugeben
Nachhaltig unterwegs auf der sozio-kulturellen Ebene
Auf der sozio-kulturellen Ebene besteht die Gefahr, dass durch den Tourismus bestehende Vorurteile und Stereotypen sowohl auf Seiten der TouristInnen als auch auf Seiten der GastgeberInnen verstärkt anstatt abgebaut werden. Eine Verstärkung der Vorurteile droht dann, wenn sich Reisende gegenüber den kulturellen Gegebenheiten ignorant zeigen: beginnend bei Begrüßungsritualen und Regeln der alltäglichen interpersonellen Kommunikation bis hin zu Arbeitsroutinen sowie Sitten- und Bekleidungsvorstellungen. Damit einher geht das Phänomen des Kulturschocks, auf das wir in diesem Beitrag genauer eingehen. Einen weiteren Stolperstein stellt die Suche der Reisenden nach der vermeintlichen Authentizität dar. Diese Sehnsucht nach dem Ursprünglichen, die meist aus romantischen Vorstellungen gespeist wird und mit der Lebensrealität der besuchten Menschen kaum etwas gemein hat, führt einerseits zu großen Enttäuschungen bei den Reisenden und andererseits dazu, dass von TouristikerInnen kulturelle Stätten zu einer Art Disneyland umgebaut werden, um die touristischen Erwartungen zu erfüllen. Beides führt zu Entfremdungserscheinungen, im Falle der lokalen Bevölkerung auch von der eigenen Kultur, und ein besseres interkulturelles Verständnis wird dadurch verunmöglicht. Über die Bedeutung der Authentizität beim Reisen haben wir uns in diesem Beitrag Gedanken gemacht.
CHECKLIST sozio-kulturell nachhaltig unterwegs:
- Sich vorab umfassend über das Zielland informieren
- Boykott von rein für den Tourismus inszenierten Attraktionen
- Die lokale Bevölkerung kennenlernen versuchen und sich ihre Geschichten erzählen lassen; das Gehörte kann dann zuhause im Bekanntenkreis weitererzählt werden, was zu einem bessern interkulturellen Verständnis beigetragen kann
Nachtrag: Der Mythos der besseren TouristInnen
Der Irrglaube, dass Individualreisen per se nachhaltiger und damit „besser“ als der so genannte Pauschaltourismus wäre, hält sich hartnäckig. Individualtourismus oder anders Reisende ist mittlerweile ein Massenphänomen, deshalb kann die Nachhaltigkeit einer Reise immer nur einzeln bewertet werden. Das heißt, sowohl beim All-Inklusive Urlaub als auch beim Backpacking-Trip kann man jedes Element der Reise auf die Nachhaltigkeit überprüfen. Das beginnt mit dem Transportmittel bei der Anreise, den konsumierten Lebensmitteln, der Art wie mit Servicepersonal umgegangen wird, wie über die Reise berichtet wird, wie die Arbeitsbedingungen im gewählten Hotel oder Hostel sind und so weiter. Um beim Beispiel des viel zitierten und negativ konnotierten Luxusressorts zu bleiben: Dies könnte ja auch eine Öko-Lodge sein, die ihre MitarbeiterInnen überdurchschnittlich gut entlohnt, lokale und saisonale Lebensmittel verkocht, das Pool mit Meerwasser betreibt und ihren Gästen Wandertouren in Naturschutzgebiete anbietet, wo sie über die Fauna und Flora der Region lernen können.
Ob der Tourismus auf allen drei Ebnen nachhaltig ist oder nicht, hängt demnach immer von der konkreten Umsetzung ab und hat wenig bis nichts mit dem darüber gestülpten Label zu tun!
Hast du noch weitere Tipps? Wir freuen uns auf deine Anregungen in den Kommentaren!
tiefer…länger…nachhaltiger
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