Heuer ist das ‚Internationale Jahr des nachhaltigen Tourismus für Entwicklung’ (International Year of Sustainable Tourism, #IY2017). Darum widmen wir uns in einer 4-teiligen Artikelserie dem Thema. In Teil 1 der Serie zum IY2017 haben wir uns mit den Auswirkungen des Tourismus befasst, in Teil 2 den Begriff Nachhaltigkeit genauer betrachtet. Damit nachhaltiger Tourismus möglich ist, sind einige Grundvoraussetzungen notwendig. Im Folgenden wollen wir euch ein paar Überlegungen zu den von der UNWTO (Tourismusorganisation der Vereinten Nationen) definierten 5 Säulen des #IY2017 vorstellen:
Inklusive und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung
Die Herausforderung für inklusive und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung ist, den Begriff ‚Nachhaltigkeit’ nicht aus dem Kontext zu reißen und als ‚Label’ für alles mögliche zu verwenden. Viele setzen Nachhaltigkeit vor allem mit ökologisch vertretbar gleich, doch die soziale und ökonomische Komponenten und die Relationen untereinander werden gerne vergessen. Es gilt für die gesamte Tourismusindustrie die Grenzen des Wachstums zu erkennen und sich den Herausforderungen zu stellen. Nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung soll nicht auf schnellen Profit abzielen, Ressourcenschonend agieren, ausbeuterische Arbeitsverhältnisse vermeiden und das Wohlergehen zukünftiger Generationen im Auge behalten. Eine wichtige Rolle spielen dabei natürlich politische AkteurInnen auf nationalstaatlicher, überregionaler und globaler Ebene. Die Gesetze und Regeln für Unternehmen werden meist von staatlichen AkteurInnen festgelegt, Unterstützung und staatliche Förderungen für inklusive und nachhaltige Unternehmen können einen Anreiz bieten. Gleichzeitig erscheint es zentral, dass Entscheidungen nicht top down gefällt werden, sondern von Nichtregierungsorganisationen, TouristikerInnen und einer breiten Öffentlichkeit diskutiert und unterstützt werden. Wenn eine Region oder ein Staat als besonders nachhaltige Destination gilt, profitieren wiederum alle AkteurInnen davon. Außerdem ist es von Bedeutung, dass infrastrukturelle Verbesserungen nicht nur den BesucherInnen zugute kommen, sondern die BewohnerInnen einer Destination und nachfolgende Generationen davon profitieren.
Inklusivität, Arbeitsplätze und Armutsbekämpfung
Ein nachhaltiger Tourismusbetrieb soll bestenfalls nicht nur Arbeitsplätze schaffen, sondern auch dafür sorgen, dass Frauen oder Menschen mit Behinderung nicht benachteiligt werden. Hinter einem nachhaltigen Tourismusbetrieb steht bestenfalls ein Unternehmenskonzept, das sich sozialer Verantwortung verschreibt, die MitarbeiterInnen an den Unternehmenserfolgen teilhaben lässt, Mitbestimmung ermöglicht und ökologisch nachhaltig agiert. Quotenregelungen, BetriebsrätInnen und Gleichstellungsbeauftragte können dabei unterstützen.
Ressourceneffizienz, Umweltschutz und Klimawandel
Das Problem mit dieser Säule besteht darin, dass der Tourismus, vor allem der Flugverkehr, nicht ressourcenschonend ist und zum Klimawandel wesentlich beiträgt. Bei der Wahl des Transportmittels sollte die Angemessenheit und das Verhältnis zur Dauer des Aufenthalts bedacht werden. Doch auch hier gilt, dass die Verantwortung zu sehr auf die KonsumentInnen abgewälzt wird. Viele Menschen würden vielleicht mehr mit der Bahn fahren, wenn Verbindungen vorhanden und die Ticketpreise leistbar wären. Wenn ein Zugticket (wie in Europa oftmals der Fall) doppelt so teuer wie ein Flug- oder Busticket ist, werden sich viele aus finanziellen Gründen für die günstigere Variante entscheiden. Außerdem könnten Unternehmen unter Druck gesetzt werden, um weniger schädliche Treibstoffe zu verwenden. Wenn der globale Tourismus nachhaltiger und ressourcenschonender werden soll, müssten alle AkteurInnen an einem Strang ziehen und nachhaltigere Formen des Reisens nicht nur gut heißen, sondern gezielt fördern. Das beginnt mit Investitionen in Forschung und geht bis zur Wasserversorgung eines einzelnen Hotels. Der Grundgedanke der Nachhaltigkeit widerspricht leider den Regeln des Kapitalismus, denn mit solchen Überlegungen geht eine gewisse Entschleunigung einher und die Ergebnisse erscheinen auf den ersten Blick nicht ‚profitabel’. Trotzdem sollte vor allem die Tourismusindustrie ein Interesse an einer nachhaltigen Tourismusentwicklung haben, denn die Folgen des Klimawandels richten globale irreversible Schäden an.
Kulturelle Werte, Vielfalt und kulturelles Erbe
Nachhaltiger Tourismus setzt auf den Schutz kultureller Werte, Vielfalt und kulturelles Erbe. Die UNESCO ist ein wichtiger Player für die Definition und Erhaltung von Kulturerbe auf der ganzen Welt. Neokolonialistisches Gedankengut muss aus den Köpfen der TouristikerInnen und TouristInnen verbannt werden. Reisende sind oftmals auf der Suche nach ‚authentischen’ Erlebnissen, gleichzeitig wollen sie nicht auf Bequemlichkeiten verzichten. Die Inszenierung von touristischen (kulturellen) Erlebnissen steht in diesem Spannungsfeld und es gelingt nicht immer eine Brücke zu schlagen. Der Schutz von kultureller Vielfalt sollte auch nicht nur ‚von oben’ verordnet werden. Indigene Gruppen sind selbst angehalten, ihre Sprache und Bräuche an die nächste Generation weiter zu geben. Eine Kultur ist nicht etwas in sich Geschlossenes, das man entweder von außen betrachten oder tief darin eintauchen kann. Kultur manifestiert sich durch Kommunikation und Begegnungen, aber auch dadurch, dass sie in einem ständigen Veränderungsprozess steckt. Massentourismus kann ebenso Einfluss auf ‚die Kultur’ einer Region nehmen, wie Zu- oder Abwanderung. Insofern ist Kultur kein Packet, das man bei einer Reise mitbestellen kann, sondern beinhaltet eine Vielfalt von Bedeutungen die wiederum unterschiedlich interpretiert werden können. Klingt kompliziert? Ist es auch… Mir gefällt die Theorie der ‚Landkarte an Bedeutungen’ (von Stuard Hall) sehr gut, um den Kulturbegriff etwas einzugrenzen. Um eine vermeintlich ‚fremde’ Kultur besser zu verstehen, ist die Auseinandersetzung mit den eigenen Hintergründen sehr hilfreich, bestenfalls entsteht im interkulturellen Austausch ein nachhaltiges gegenseitiges Verständnis – mehr dazu im nächsten Punkt.
Gegenseitiges Verständnis, Frieden und Sicherheit
Gegenseitiges Verständnis ist natürlich nicht nur für den Tourismus relevant. Der Weltfrieden erscheint momentan in unerreichbarer Ferne, stattdessen werden unter dem Deckmantel ‚Sicherheit’ ständig neue Ängste geschürt. Verständnis für andere Menschen und der Kampf gegen Diskriminierung (sei es wegen der kulturellen Zugehörigkeit, Hautfarbe, Geschlecht oder körperlichen Verfassung) sollte die Basis für ein friedliches Miteinander bilden. Somit beginnt das gegenseitige Verständnis im Alltag zuhause. Wir denken, dass Reisen ein großes Potenzial für Völkerverständigung und Perspektivenwechsel birgt. Dennoch liegt es individuell an jedem Gast und jeder GastgeberIn, wie diese Verständigung abläuft. So-genannte Individualreisen bergen auf den ersten Blick mehr Potenzial für interkulturellen Austausch. Doch wer schon einmal mit dem Rucksack unterwegs war, kennt das Phänomen der Abschottung gegen außen auch von diesen Gruppen. Backpacker die lokale Transportmittel meiden, hemmungslos um Centbeträge feilschen und am Banana-Pankake-Trail von Hostelkette zu Hostelkette shutteln, kommen manchmal weniger mit ihren GastgeberInnen in Kontakt, wie die Pauschalreisende, die seit 20 Jahren in das selbe Clubhotel fährt. Wir denken auch, dass Freiwilligenarbeit im Ausland und im Inland in alle Richtungen einen großen Beitrag für die Völkerverständigung leisten kann –, schön wäre natürlich, wenn die BesucherInnenströme auch mehr von Süd nach Nord und von Ost nach West verliefen. Wie tief eurozentristisches und nationalistisches Gedankengut in unseren Köpfen verankert sind, merkt man schon an den Begrifflichkeiten, die für unterschiedliche Gruppen von MigrantInnen verwendet werden: Seien es Expats, Digitale NomadInnen, Global Citizens, Flüchtlinge, Steuerflüchtlinge, ImmigrantInnen oder AusländerInnen – da entstehen sofort Bilder im Kopf, wobei es sich doch bei allen genannten Bezeichnungen um Menschen auf der Reise und auf der Suche handelt.
Deshalb erscheint uns gerade der Punkt ‚gegenseitiges Verständnis, Frieden und Sicherheit’ für eine nachhaltige Tourismusentwicklung zentral!
Das war Teil 3 unserer Serie zum #IY2017, Im 4. und letzten Teil, stellen wir euch dann einige Beispiele aus der Praxis vor.
Was denkt ihr, ist nachhaltiger Tourismus möglich? Wir freuen uns über eure Gedanken!
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