„In 20 Jahren wirst du mehr enttäuscht sein über die Dinge, die du nicht getan hast, als über die Dinge, die du getan hast. Also löse die Knoten, laufe aus aus dem sicheren Hafen. Erfasse die Passatwinde mit deinen Segeln. Erforsche. Träume.“ (Mark Twain)
Die Segel setzen, aufbrechen und alles hinter sich lassen. Viele mögen, zumindest ab und zu, davon träumen. Je mehr gefühlte Unsicherheiten uns in unserem Alltag begegnen, desto stärker, so scheint es, wird die Suche nach Gegenentwürfen und alternativen Lebenskonzepten. Mit dem eigenen Segelboot dem als einschränkend und beklemmend empfundenen System entkommen, ist wohl eine der meist verbreiteten AussteigerInnenphantasien. Unzählige Male in der Literatur beschrieben und bildgewaltig in Filmen inszeniert, steht dieses Sujet für die absolute individuelle Freiheit. Doch wartet am Ende des Horizonts tatsächlich die uneingeschränkte Selbstbestimmung und Unabhängigkeit oder sind es eben nur schön erzählte Geschichten?
Im Jahr 2016 haben wir die Monate Oktober und November in Panama verbracht. Während dieser Zeit haben wir einige interessante Projekte besucht und sehr spannende Menschen kennengelernt.
Neben der Begegnung mit Amy von Panama Dog Rescue und unserem Workaway Abenteuer im Hurrikan haben uns vor allem die WeltumseglerInnen an der Karibikküste Panamas fasziniert. In dem sehr abgelegenen Ort Puerto Lindo haben wir Menschen kennengelernt, die teilweise schon mehrere Jahrzehnte auf ihren Segelbooten leben. Wir hatten vor unserem Aufenthalt noch nie von Puerto Lindo gehört und waren sehr überrascht, dass es zwar kein Hotel bzw. Hostel gibt, dafür aber der Ort unter SeglerInnen sehr bekannt ist. Gründe dafür sind einerseits die nahegelegene Inselgruppe San Blas und andererseits vor allem die Nähe zum Panamakanal. Für viele SeglerInnen ist eine Weltumseglung das große Ziel und bei diesem Vorhaben führt fast kein Weg am Kanal vorbei. Die beiden Alternativen Magellanstraße und Drakestraße an der Südspitze des amerikanischen Kontinents sind nur sehr erfahrenen SeglerInnen vorbehalten. Diese beiden Umstände haben dazu geführt, dass sich in den Buchten rund um Puerto Lindo eine eingeschweißte Community etabliert hat. Einige der SeglerInnen träumen von der Weltumseglung schon seit vielen Jahren, haben es aber aus unterschiedlichen Gründen nie geschafft, die Gewässer rund um den Ort hinter sich zu lassen.
Alles anders: Auf einem Segelboot wohnen
Während der Wochen in Puerto Lindo durften wir auch die ursprünglich aus Österreich stammenden SeglerInnen Gunther und Gerlinde kennenlernen. Seit mittlerweile zwei Jahren leben sie auf ihrem Boot und besegeln die karibischen Gewässer. In vielen anregenden Gesprächen haben uns die beiden ihre Welt näher gebracht und einen kleinen Ausschnitt daraus möchten wir mit diesem Beitrag teilen. Wir haben uns mit den beiden über die Herausforderungen, die mit auf einem Segelboot wohnen und arbeiten einhergehen sowie über die Licht- und Schattenseiten dieses alternativen Lebensentwurf unterhalten.
1) Wie seid ihr dazu gekommen, auf einem Segelboot zu leben und seit wann lebt ihr fulltime auf dem Schiff?
Ein Leben auf einem Segelboot war immer ein alter Traum von uns. Wie wir dazu gekommen sind? Wir haben lange gezweifelt, ob und wie das je realisierbar ist. Dann haben wir es einfach gemacht! Haben festgestellt, dass wir sonst ewig auf den richtigen Zeitpunkt warten müssten, bis wir genug Geld, Zeit, Erfahrung etc. haben. Also worauf warten? Die richtige Zeit ist jetzt.
2) Welche Vorteile seht ihr bei diesem Lebensstil?
Im Vergleich zu anderen Reiseformen hat man einen guten Kompromiss zwischen flexibler Wahl des Wohnortes und einem eigenen Haus in fast jedem beliebigen Land. Im Vergleich zu Wohnmobilen hat man bessere Visabestimmungen, kann das Boot einfach einführen, braucht keinen jährlichen TÜV. Wir leben meist mitten in der Natur und genießen eine gute Nachbarschaft mit anderen SeglerInnen.
3) Mit welchen Herausforderungen seid ihr in eurem Alltag konfrontiert?
Mit allen! Wer glaubt, es wäre einfacher als zuhause irrt – das Gegenteil ist der Fall. Gerade die einfachen Dinge des Lebens (Verpflegung, Wasser- und Energieversorgung, Wartungsarbeiten) sind deutlich aufwändiger, zeitintensiver und oft teurer als zuhause. Ganz zu schweigen von einem gemeinsamen Leben auf engstem Raum, was den ausgeglichensten Menschen mal zur Weißglut bringt. Abgesehen davon braucht es viel Aufmerksamkeit nach außen hinsichtlich Wetter und sonstigen Rahmenbedingungen. Wer zuhause nicht zurechtkommt, kommt auf einem Boot erst recht nicht klar.
4) Für wen ist das Leben auf dem Boot eurer Meinung nach geeignet und für wen nicht?
Wir sehen arme, reiche, junge und alte Segler beiderlei Geschlechts. Für alle, die echtes Interesse aufbringen, ist es möglich, auf einem Boot zu leben.
5) Seht ihr euch als ‚AussteigerInnen‘, und wenn ja warum, bzw. warum nicht?
Nein, wir sind Voll-EinsteigerInnen! Wer glaubt, man kann einfach alles locker hinter sich lassen, irrt. Gerade beim Leben auf einem Boot hört die Arbeit und das Lernen nie auf. Nie, nie, nie.
6) Was unterscheidet das Leben auf dem Segelboot eurer Meinung nach von anderen alternativen Lebensstilen?
Schwer zu sagen – mittlerweile kommt uns ein normales Angestellten-Dasein eher vor wie ein “alternativer Lebensstil”. Da hat man seine Auszeiten, Wochenenden, seine gesicherte Verpflegung, sein Auskommen.
Auf dem Boot ist es ein bisschen wie 365 Tage Samstag: Man geht zwar nicht zur Arbeit, ist aber den ganzen Tag mit Erledigungen beschäftigt. Man gewinnt eine gewisse Freiheit, bezahlt aber auch mit einer anderen Form der Freiheit – man ist an das Boot gebunden. Uns ist das jedoch sehr recht.
7) Wollt ihr uns etwas über euer Boot erzählen?
Muoza ist eine ältere, aber gepflegte Dame, in Bootsjahren gemessen. Als erster Hochsee-Entwurf der Hallberg-Rassy Werft ist sie jedoch legendär. Klein und zugleich viel Stauraum mit genialem Layout. Stark, seetüchtig, einfach, zuverlässig – für uns sehr gemütlich.
8) Welchen Satz würdet ihr zukünftigen ‚WeltumseglerInnen‘ gerne mitgeben?
Wer ernsthaft überlegt loszufahren, soll nicht zu lange warten. Es gibt immer gute Gründe nicht loszufahren. Und wir haben noch nie wen getroffen, der oder die gesagt hätte: „Ach hätten wir doch lieber 10 Jahre gewartet!” Das Gegenteil haben wir schon oft gehört.
Ansonsten nicht zu viel Geld in die Anschaffung eines Bootes stecken. Schon für wenig Geld findet man Boote, auf denen man längere Zeit leben kann. Der Rest ergibt sich später. Bloß nicht zu viel Lebenszeit in Geldbeschaffung aufgehen lassen! Unterwegs wird sich immer ein Weg finden, wenn man inspiriert und engagiert ist.
9) Habt ihr noch etwas hinzuzufügen?
Zeit ist dein Budget. Jeder und jede hat gleich viel davon: 24 Stunden. Die Hausaufgabe lautet: 24 Stunden. Mach was draus!
Wenn du noch mehr über das Leben von Gunther und Gerlinde erfahren, oder sogar mit ihnen die Inselwelt der Karibik erkunden möchtest, dann schau bei Zeitwärts vorbei!
Im Internet finden sich viele Foren und Plattformen. Umfangreiche Informationen zum Thema findest du beispielsweise hier. Wenn du selber an Bord eines Segelbootes die Weltmeere entdecken willst, aber nicht viel Geld zur Verfügung hast, dann schau bei folgenden Seiten vorbei:
Fotos © Zeitwärts
Hast du schon einmal eine Zeit lang auf einem Segelboot gewohnt oder kannst du dir das vorstellen? Wir freuen uns über deine Kommentare!
Ich wohne/lebe auch seit vielen Jahren immer wieder mal für ein paar Monate durchgehend auf unserer SY NAMBAWAN. Da wir derzeit mit unserem Boot aber noch im Mittelmeer unterwegs sind und auch Geld verdient werden muss/soll, ist die Zeit am Boot zu leben derzeit noch auf den Frühling, Sommer und Herbst beschränkt. Im Winter wäre es uns derzeit in Norditalien am Boot zu überwintern ohnehin zu ungemütlich.
Aber wir lesen natürlich auch von anderen Bloggern gerne die Berichte, von den gemütlichen und vor allem warmen Gegenden in der kalten Jahreszeit. Diese Geschichten spornen uns an, auch bald mal so ein Leben zu führen…
Bin ganz stolz auf beide Wasser-Nomaden der SY “Mouza”, schließlich ist Gunther ja mein Sohn!
Wir freuen uns, Gerlinde und Gunther auf Kuba kennen gelernt zu haben. Kurz, aber knackig! Wir erinnern uns gerne an unser intensives Zusammentreffen!
Wir haben mit unseren 3 Kindern 8 Monate die Karibik besegelt (auf einer Reinke S11), danach den Atlantik überquert – die einzig wahre Beschränkung ist der Wille der Crew.
Deshalb planen wir schon wieder und freuen uns auf ein Wiedersehen mit der Mouza, irgendwo im Paradies, das wir “Erde” nennen.
Herzlich von der Crew der SALANA
Lieber Robert, liebe Eva!
Vielen Dank für diesen professionellen Artikel, wir fühlen uns wahrhaftig gebauchpinselt!
Uns ist es umgekehrt mit euch ähnlich ergangen: Wir sind fasziniert von eurer Lebensform als “digitale Nomaden”; wie professionell und breit ihr aufgestellt seid. Was ihr inhaltlich macht und wie ihr es angeht. Wir würden gerne noch eine Menge von euch lernen. Schön, dass Robert einen Segelkurs machen wird! Wir hoffen, dass ihr bald neben uns ankern werdet! :-)