Der so genannte Voluntourismus (einen Artikel dazu findest du hier), ein Kunstwort aus Volunteer und Tourismus, verweist meist auf Volunteer Reisen, die von kommerziellen AnbieterInnen (im Gegensatz zu Vereinen, Initiativen oder kirchlichen Organisationen) organisiert werden. Derartige Angebote stehen in letzter Zeit vermehrt in Kritik. Sowohl die klassischen Massenmedien als auch Gruppen und Seiten in der Social Media lassen oft kein gutes Haar an Voluntourismus-AnbieterInnen (vergleiche dazu beispielsweise Negative volunteering reviews). Auf den ersten Blick klingt es auch durchaus bizarr: Ich möchte mich unentgeltlich engagieren, stelle meine Arbeitskraft ohne Entlohnung zur Verfügung und soll dafür auch noch bezahlen?! Ganz so einfach ist es dann aber doch nicht. Im Folgenden werde ich anhand eines bekannten Negativbeispiels die Schattenseiten dieser Tourismusbranche aufzeigen. Im Anschluss daran werde ich darlegen, warum Kosten für Freiwilligenarbeit im globalen Süden entstehen und warum es legitim erscheint, für diese Form des Tourismus auch zu bezahlen.
Schwarze Schafe
Leider gibt es aktuell unzählige AnbieterInnen, die Volunteer-Reisen rein und ausschließlich als lukratives Geschäftsmodell sehen. Ich möchte an dieser Stelle nicht alle kommerziellen ReiseveranstalterInnen an den Pranger stellen – exemplarisch will ich allerdings einen der größten Veranstalter im Bereich Voluntourismus, der mittlerweile auch heftiger Kritik ausgesetzt ist, genauer beleuchten. Die Organisation Projects Abroad vermittelt nach eigenen Angaben seit 1992 Freiwillige ab 16 Jahren in mittlerweile 30 Länder. Geworben wird mit flexiblen Startterminen und damit, dass keine Vorkenntnisse nötig sind! Man kann also mit diesem Anbieter ohne facheinschlägige Ausbildung und ohne Berufserfahrung in den Bereichen Sprachausbildung, Medizin und Physiotherapie, Sozialarbeit, Journalismus, Umweltschutz, etc. tätig werden – der Gründer von Projects Abroad Peter Slowe fasst das in seinem Grußwort in einer Broschüre aus dem Jahr 2015 folgendermaßen zusammen:
„Du suchst dir ein Projekt selber aus, ob du dich beispielsweise in unserem Meeresbiologie-Projekt auf den Fidschi-Inseln engagierst, das Hausbau-Projekt auf Jamaika unterstützt oder dich in einem Waisenhaus in Costa Rica einbringst, deine Unterstützung wird in allen unseren Projekten gebraucht.“
Dass hier ein neokolonialistisches Weltbild vertreten und propagiert wird, ganz im Sinne von egal was du kannst, die armen und ungebildeten Menschen in der Dritten Welt warten nur auf dich als weiße RetterIn, ist die eine Sache, der man eine genauere Betrachten zukommen lassen sollte. Da es in diesem Beitrag allerdings um die Frage geht, inwiefern Kosten für einen Freiwilligenaufenthalt gerechtfertigt sind, schauen wir uns die Preise und die inkludierten Leistungen eines derartigen Einsatzes an.
Ein Blick auf die Preisliste verrät, dass ein vierwöchiger Volunteer-Aufenthalt nur in zwei Ländern unter 2.000 Euro zu haben ist. Für 1.905 Euro kann man in Peru vier Wochen lang nicht näher spezifizierte Sprachen unterrichten. Möchte man sich in einem anderen Bereich engagieren, werden zwischen 2.055 Euro und 3.055 Euro fällig. Nepal kann in diesem Zusammenhang als richtiges Schnäppchen bezeichnet werden: Im „billigsten Land“ im Angebot von Project Abroad bezahlt man für vier Wochen als Volunteer zwischen 1.730 Euro und 2.305 Euro. Wenn man zum Beispiel im Bereich Naturschutz in Südafrika oder Thailand tätig werden möchte, schlägt dies mit unglaublichen 3.305 Euro für vier Wochen zu Buche. Selbstredend lautet die entscheidende Frage an dieser Stelle: Was bekomme ich für diesen Preis? Laut der offiziellen Preisleiste und Website sind folgende Leistungen enthalten:
- Organisation des Aufenthalts, Platzierung im ausgewählten Projekt
- Unterkunft im Gastland
- Volle Verpflegung mit 3 Mahlzeiten am Tag
- Versicherungspaket mit Kranken-, Haftpflicht-, Unfall-, Reise- und Gepäckversicherung
- Betreuung vor Ort
- Abholung und Transfer vom Flughafen im Projektland
- Hilfe bei der Beantragung des Visums (falls erforderlich)
- Auf Anfrage ein Zertifikat über den Aufenthalt, z.B. für Bewerbungen
Im Paketpreis ist demnach der Flug ins Gastland nicht inkludiert. Viel schwerer wiegt allerdings der Umstand, dass einerseits keine Geldzuwendungen direkt an das Projekt im Zielland gehen und andererseits keine verpflichtende Vor- und Nachbereitung vorgesehen ist! Gerade die Vor- und Nachbereitung eines Freiwilligeneinsatzes erachten wir als äußerst zentral für das Gelingen des Einsatzes und Volunteering auf Augenhöhe mit den Partnerorganisationen in den Zielländern. Auf der Website der Organisation findet sich eine Seite ‚Vorbereitungsseminare’ mit sehr dürftigen Informationen zum Inhalt des Seminars und folgender Hinweis:
„Da du in allen Zielländern gut betreut bist, ist das Seminar nicht obligatorisch, aber wir empfehlen die Teilnahme sehr!“
Ob das Vorbereitungsseminar im Preis inbegriffen ist oder separat bezahlt werden muss, geht leider nicht hervor. Darüber hinaus ist zurzeit eine Anmeldung gar nicht möglich:
„Entschuldigung! Leider müssen die ersten Vorbereitungsseminare im neuen Jahr ausfallen. Wir arbeiten daran, sobald wie möglich wieder Seminare anbieten zu können – auf dieser Seite findest du dann Informationen dazu!“
Auf eine diesbezügliche Anfrage bekam ich lediglich die Antwort, dass auch für die zweite Jahreshälfte noch kein Termin feststeht. Auf meine Frage bezüglich der Kosten für das Seminar wurde nicht eingegangen.
Unabhängig davon, ob das Seminar preislich inkludiert ist oder nicht, erscheinen die angegebenen Preise sehr hoch. Da Unterkunft und Verpflegung wohl kaum mehrere hundert bis tausend Euro kosten können, liegt die Vermutung nahe, dass ein großer Teil des Geldes in die Administration der Organisation fließt. Diese Vermutung wird durch die folgende Infografik von Projects Abroad bestätigt:
Warum also für Freiwilligenarbeit im Ausland bezahlen?
An einer anderen Stelle haben wir folgende Definition für Voluntourismus vorgeschlagen:
„Voluntourismus ist im Idealfall eine fachlich betreute Reise, die bewusst eine Integration von Freiwilligenarbeit und touristischen Erlebnis für einen bestimmten Zeitraum herbeiführt, mit dem Ziel die Lebensbedingungen der Bevölkerung der Zieldestination nachhaltig zu verbessern.“(Gaderer/Bichler/Rössler 2017, PDF-Download)
Zentral für die Frage, warum Kosten gerechtfertigt sind, ist bei dieser Definition der touristische Aspekt. Die Organisation jeglicher Reise durch eine ReiseveranstalterIn kostet Geld. Organisierte Volunteer-Reisen unterscheiden sich dabei nicht von Rundreisen, Kulturreisen, Wanderreisen, etc. Freiwilligeneinsätze, die von staatlichen oder religiösen Trägern organsiert werden, sind ja auch nicht gratis. Gewisse Kosten wie Auswahl des Projekts, Unterbringung und Verpflegung, Vor- und Nachbereitung, Betreuung vor Ort, etc. fallen auch bei staatlich oder kirchlich geförderten Programmen an. Der einzige Unterschied ist, dass die Freiwilligen nicht alles selbst bezahlen sondern die öffentliche Hand bzw. private SpenderInnen Teile der Kosten übernehmen. Somit erscheinen folgende Kosten, die privaten Volunteer-ReiseveranstalterInnen entstehen, völlig legitim:
- Auswahl der Projekte
- Auswahl und Platzierung der Freiwilligen
- Organisation des Aufenthalts
- Beratungsleistungen im Heimatland
- Betreuung vor Ort durch eine Ansprechperson
- Transportleistungen im Gastland
- Versicherungen
- Unterkunft
- Verpflegung
- Vorbereitung, Begleitung und Nachbereitung
Was kann Freiwilligenarbeit kosten? Welcher Betrag ist gerechtfertigt?
Das ist eine schwierig zu beantwortende Frage und hängt einerseits vom Zielland und andererseits vom Projekt und den inkludierten Leistungen ab. Das oben angeführte Beispiel Project Abroad ist definitiv weit jenseits jeglicher Vorstellungskraft. Seriöse AnbieterInnen, die den Fokus auf die Auswahl von für die Tätigkeiten qualifizierten Freiwilligen legen, der Vorbereitung, Begleitung und Nachbereitung eine zentrale Rolle zuschreiben und die Partnerorganisationen in den Zielländern auch finanziell unterstützen, bieten vierwöchige Volunteer-Aufenthalte um die Hälfte und weniger an. Als absolut wichtiges Kriterium gilt die Kostentransparenz: Wie wird das von den Freiwilligen bezahlte Geld verwendet? Was fließt wohin und wie profitieren die Menschen in den Gastländern?
Dieser Beitrag kann als eine Richtschnur verstanden werden, wenn man sich für einen Freiwilligenaufenthalt mit einem kommerziellen Reiseveranstalter entscheidet. Darüber hinaus gibt es aber noch viele andere Wege. Eine Auflistung österreichischer, staatlich unterstützter Entsendeorganisationen findest du in diesem Beitrag: ‚Österreichische Organisation für Freiwilligenarbeit – Ein Überblick’.
Wie man einen Volunteer-Aufenthalt kostenlos organisieren kann, haben wir hier und hier zusammengeschrieben.
Welche Erfahrungen hast du mit kommerziellen AnbieterInnen gemacht? Wir freuen uns über deine Gedanken in den Kommentaren!
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