Wer tiefer reist, möchte in eine fremde Kultur eintauchen, etwas Authentisches erleben und authentisch reisen und auf keinen Fall als TouristIn wahrgenommen werden. Tiefer Reisende werfen einen Blick hinter die (touristische) Bühne, sie erkennen Inszenierungen sofort und sie bewegen sich fernab vom Massentourismus…
STOPP! MOMENT MAL! Wie soll das denn gehen?
Authentisch Reisen: Die Suche nach dem Einzigartigen
Reisende sind auf der Suche nach Erlebnissen, an die sie sich lange erinnern und die sich von ihrem Alltag unterscheiden. Sie ist schwer zu beschreiben, die Suche nach dem Authentischen, einzigartigen Erlebnis in der Ferne. Wir erträumen uns Begegnungen mit tiefen Gesprächen und frisch zubereiteten Essen von der Großmutter. Wir suchen nach der unberührten Natur, dem einfachen Leben im Einklang mit dieser, romantische Sonnenuntergänge auf dem Lande mit zirpenden Grillen als Hintergrundgeräusch. Wir wollen uns in der Metropole verlieren, in Clubs, die selbst die Einheimischen als Geheimtipp handeln, tanzen. Wir sind auf der Jagd nach einem unbestimmten Gefühl, oder nach einem Strand, den wir auf einem Bild gesehen haben.
Für diese Suche nehmen wir einiges in Kauf. Anstatt uns auf einer Strandliege mit Buffet in Reichweite unseren Büchern zu widmen, sitzen wir in abgewrackten Bussen, schleppen Rucksäcke und kämpfen gegen Moskitos und anderes Getier.
Was es auch zu finden gibt
Doch statt der Einladung zum großmütterlich-gekochtem, einheimischen Essen werden wir nach einem halbstündigem Umweg vor einer Fastfood-Kette abgeladen. Den schicken Schal vom Kunsthandwerkmarkt gibt es jetzt auch beim made-in-China-Ramschladen unserer Wahl. Im Langstreckenbus gröhlt ein Fußballverein aus der Nachbarschaft nationalistisch-deutsches Liedgut. Im Tempel hat ein MC Donalds/Burgerking/Subway/… eröffnet, der Händler preist seine Ware mit ‘saubillig’ an, die Schlange vor der Sehenswürdigkeit ist unendlich lange und der ganze Müll hier passt auch nicht so richtig ins Bild.
Wo ist sie hin – die Authentizität?
Ich komme aus einer Stadt, die jedes Jahr ungefähr 10 Mal so viele BesucherInnen wie Einheimische zählt. Wenn mich jemand fragen würde, was es hier wirklich authentisches zu erleben gibt, würde ich den Freitagnachmittagsstau, die Sommer-Baustellen Besichtigung oder einen Spaziergang ohne Schirm in der Regenzeit (also fast immer) empfehlen. Eigentlich sollten wir uns die Frage stellen, was genau etwas ‘Nicht-Authentisches’ ist. Menschen die global im Tourismus arbeiten, setzen ihre Destination in Szene, das ist ihr Job und der ist genauso authentisch wie unser wasserdichter Rucksack.
Das wirklich Authentische, das alltägliche Leben, ist global gesehen wohl eher banal. Staus, schlechtes Wetter, Baustellen und überteuertes Essen findet man von Salzburg, Nairobi, Shanghai über New York bis nach Attnang-Puchheim. Großmütter kochen ihre Spezialitäten für ihre Enkel und nicht für TouristInnen. AirBnB Wohnungen werden mittlerweile auch hauptsächlich kommerziell angeboten. Die unberührte Natur findet man auch im Wald hinter Eugendorf und die anderen Reisenden sind auch schon überall.
Wenn wir ehrlich sind, wollen wir gar keine richtige Authentizität, sondern unsere Vorstellung von Authentizität. Wir tragen nicht nur unseren Rucksack, sondern auch vorgefertigte Meinungen, stereotype Bilder und eingeübte Verhaltensmuster mit uns herum.
Tieferes Reisen
Wer tiefer reisen möchte, sollte sich dessen bewusst sein. Die Welt ist nicht dazu da, uns Instagram-taugliche Bilder zu liefern. Wir sind keine EntdeckerInnen auf der Suche nach neuen Kontinenten zum Kolonialisieren oder Gentrifizieren. Wer länger an einem Ort verweilt, wird auch im vermeintlich Banalen und Alltäglichen Schönheit entdecken. Man ist bereit für Begegnungen und Unterhaltungen mit interessanten Menschen, auf Augenhöhe, bescheiden und dankbar für die uns gegebene Möglichkeit zu reisen.
Wenn der Blogpost fertig geschrieben, das Buch ausgelesen, der Newsfeed durchgescrollt und alle Mails beantwortet sind, können wir hochblicken und jemanden ein Lächeln schenken – wer weiß, was daraus wird. In Attnang-Puchheim oder Kuala Lumpur – das ist ganz egal!
Und du? Suchst du sie noch, oder hast du sie schon gefunden – die Authentizität? Hast du schon einmal Reisende in dein Haus eingeladen?
Guter Einstieg – ich dachte schon, ihr meint das Gsatzerl am Anfang ernst :-) Ich glaube, erst wenn man viel unterwegs war, gelangt man an dem Punkt an, den ihr hier beschreibr. Denn dann beschäftigt man sich automatisch damit, wie man reisen will und wie nicht. Und macht so seine eigenen Erfahrungen. Danke für diesen Einblick!
Bin zwar spät dran mit meinem Kommentar, aber danke für diesen Beitrag. Muss gerade für ein Hochschulprojekt die Urlaubsvorstellungen von der Millenial-Generation analysieren und diese Unart ‘authentisches Reisen’ taucht öfter auf.
‘Authentisch reisen’ beißt sich im Satz.
Danke besonders für diesen Satz: ‘Wenn wir ehrlich sind, wollen wir gar keine richtige Authentizität, sondern unsere Vorstellung von Authentizität. ‘
Grüße
Liebe Anja,
besser spät als nie ;) Danke für deinen Kommentar.
lg,
Eva