Retreats in der weiten Welt erfreuen sich großer Beliebtheit. Der globale Tourismus ermöglicht es, Yoga- oder Fastenkuren, TCM, Ayuveda und andere Gesundheits-aufenthalte in der Ferne mit ‚westlichen’ Standards buchen zu können. Die Kur, meist in Thermenregionen Österreichs, gilt allerdings eher als ein Relikt und klingt etwas – naja – verstaubt.
Vor einigen Wochen wurde in den österreichischen Medien das Thema aufgegriffen und die Frage gestellt, was diese vermeintlich veraltete Therapieform noch bringt, ob und wie sie modernisiert werden kann und wie das finanziert werden soll.
Die Geschichte der Kur reicht zurück bis zur Antike. Im 19. Jahrhundert gehörte ein Kuraufenthalt für Adel und Bourgeoise (in Mitteleuropa) zum guten Ton und manche Thermenorte erlangten Berühmtheit. Nach dem 2. Weltkrieg ermöglichte ein soziales Kurwesen in Österreich auch der ArbeiterInnenschaft etwas Erholung. Heute ist das Ziel einer Kur die Leistung der DienstnehmerInnen zu erhalten, vorzeitiger Pensionierung und Pflegebedürftigkeit mit einem dreiwöchigen Programm entgegenzuwirken. Während dieser 3 Wochen darf das Kurzentrum nicht verlassen werden, es gibt einen fixen Therapieplan und Ruhezeiten, die man im Bett zu verbringen hat.
Als tiefer Reisende klingt das alles sehr exotisch, viel exotischer als der Yoga Retreat in der Südsee. Durch eine Verletzung für eine Kur qualifiziert, war ich im August drei Wochen in der Steiermark interniert und werde in diesem Beitrag berichten, wie eine Kur abläuft und mit welchen Überraschungen man rechnen muss. Dieser Beitrag ist der 2. Teil der Serie ‘Tieferes Reisen zuhause’.
Die ersten Tage
Die Einführungsveranstaltung am ersten Tag ist wichtig, um sich mit Sitzordnungen, Hausordnungen und anderen Regeln vertraut zu machen. Wer mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreist und diese Einführung verpasst, darf sich auf einige Fettnäpfchen gefasst machen.
Therapietermine dürfen nicht verschlafen werden! Wenn dies doch geschehen sollte, wird dieser Fehltritt notiert und weitergemeldet (an wen weiß ich leider nicht). Es besteht allerdings für Menschen, die nicht mit den Hühnern aufstehen die Möglichkeit, die Termine für die Anwendungen und Therapien nach hinten verschieben zu lassen.
Kein Wellness Urlaub: Das Programm
Interessante Vorträge über Ernährung, Sport, Beweglichkeit, Fitness und Ähnliches werden angeboten und sind teilweise auch verpflichtend. Für die, die am Fragebogen angegeben haben zu rauchen, wird sogar ein Seminar mit Raucherinformationen abgehalten. Für die AlkoholikerInnen dürfte es nichts vergleichbares geben, oder ich habe es übersehen.
Die Therapien und Anwendungen
Alle Therapeutinnen und Therapeuten sind sehr engagiert und nett, ich bekomme eine ausgewogene Behandlung mit einer guten Mischung aus passiv (Massagen, Moorpackungen) und aktiv (Physiotherapie, Turneinheiten, Krafttraining). Dazwischen geht sich auch mal die Sauna oder ein Bad in der Therme oder im Außenpool aus.
Gruselig ist die Überwassermassage – unsichtbare Wasserhände greifen nach der Wirbelsäule, beim ersten Mal blieb mir fast das Herz stehen. Esoterisch-Spirituelles Ambiente sucht man im Therapiezentrum vergeblich – keine Räucherstäbchen, Klangschalen und kein Chi, stattdessen Plastikvorhänge, Fließen und sterile Handtücher.
Die Ernährung
Die Schulung am ersten Tag ließ auf eine gesunde und ausgewogene Küche schließen, schließlich kann man sich an drei DiätologInnen wenden und viele PatientInnen sind offensichtlich wegen ihrem Übergewicht (oder den Folgen) in Behandlung. Der Austausch zwischen Küche und DiätologInnen dürfte allerdings nicht so gut funktionieren.
Die Ernährungsumstellung war schwierig für mich: einerseits waren die Uhrzeiten nicht mit meinem Biorhythmus vereinbar (Abendessen bis (!) 20.00), andererseits ernähre ich mich normalerweise gesünder. Es gab zu jeder Mahlzeit mehrere Fleisch-/Fischgerichte zur Auswahl, die fleischlosen Alternativen waren Beilagen und typisch österreichische Süßspeisen (Marillenknödel, Topfennudlen, Kaiserschmarrn). Die Nudelgerichte vertrug ich nicht (Glutamat?) und Salate waren meist mit Wurst und Mayonaise gepimt. Ich sehnte mich nach einer Jause und fragte mich, wie eine Schweinslende als ‚Reduktionskost’ empfohlen werden kann.
Der Austausch
Die anderen Kurgäste waren im Schnitt 20 Jahre älter als ich, woraus sich interessante Begegnungen ergaben und andere Perspektiven sichtbar wurden. Bei gewissen Weltanschauungen stieß ich allerdings an meine Toleranzgrenze. Das österreichische Leitmedium ‚Kronenzeitung’ war in aller Munde, wurde tatsächlich gelesen und teilweise wurden die ‚Inhalte’ in Stammtischmanier diskutiert. Die meisten mit-internierten waren jedoch sehr nett.
Ich zog mich ein wenig zurück und frönte dem Internet (super Wifi!) – die Country und Discofox Abende in der Umgebung reizten mich eher weniger.
Fazit
Das Knie hält, die Blutwerte sind gut, ich bin pumperlgesund und mein Magen hat sich nach einigen Tagen wieder von der Kur-Kost erholt. Unser Gesundheitssystem bietet uns das Privileg derartige Angebote nützen zu können, was jedenfalls positiv zu bewerten ist. Allerdings sind 3 Wochen alle paar Jahre nicht ausreichend, um seinem Körper etwas Gutes zu tun. Wir haben nur diese eine Hülle und sollten sorgsam und achtsam mit ihr umgehen, ohne in einen asketischen Rausch zu verfallen und uns jeden Genuss zu verbieten. JedeR weiß selbst am Besten, was einem gut und weniger gut tut – eine ärztliche oder therapeutische Anleitung ist sicher hilfreich und kann einen Anstoß geben, die Umsetzung liegt bei jedeR Einzelnen.
Wart ihr schon mal auf Kur oder Reha und habt ähnliches erlebt? Was denkt ihr darüber? Wir freuen uns auf Kommentare!
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