Auf der Suche nach Plattformen, um die kleine Organisation Asociación Atz’anem K’oj auch für deutschsprachige Freiwillige bekannter zu machen, stieß ich auf Roberts und Evas Seite. Netterweise boten sie mir die Möglichkeit an, hier über meine Erfahrungen und die wichtige Arbeit in Guatemala zu berichten.
Meine Motivation für den Freiwilligendienst Guatemala – 2 Sehnsüchte auf einen Schlag
Immer wenn ich in Deutschland auf spanischsprechende Menschen traf, verspürte ich eine unglaubliche Lust, diese Sprache auch sprechen zu können. Doch nur mit Kursen in Deutschland würde ich nie ins Reden kommen, das hatte mich meine Erfahrung gelehrt. Also, ab ins Ausland! Spanien wäre naheliegend gewesen, aber neugierig und wissbegierig wie ich nun mal bin, reichte es mir nicht, nur eine neue Sprache zu lernen. Während meiner Fortbildung zur Theaterpädagogin hatte ich zum ersten Mal von Augusto Boals ‚Theater der Unterdrückten’ bzw. ‚Theater der Befreiung’ gehört, einer politischen und sozialen Form des Theaters, die während der brasilianischen Diktatur entwickelt wurde. Mir war sofort klar, das ist genau das, was ich mit meiner Arbeit erreichen will – die Realität verändern! Per Zufall erzählte mir eine Freundin dann von der kleinen NGO aus Quetzaltenango, auch Xela genannt, die mit dieser Methodik arbeitet und ich wusste – da muss ich hin!
Das Projekt – sinnvolle Dauer und Aufgaben
Die Asociación Atz’anem K’oj ist der Zusammenschluss von Aktivist*innen, die mit Hilfe von unterschiedlichen Projekten für mehr Gerechtigkeit in Guatemala und Lateinamerika kämpfen. Ihre Methodik basiert auf dem ‚Teatro del Oprimido’ (TO), der Bildung von unten und anderen Kunstformen.
Das Grundprinzip: Von Menschen, mit Menschen und für Menschen.
Damit unterstützt die Organisation besonders marginalisierte Menschen, z.B. Frauen, die gegen Gendergewalt kämpfen, ländliche und indigene Bevölkerungsgruppen, Menschen die von HIV betroffen sind, Migrant*innen und Menschen mit Beeinträchtigung.
Das Aufgabenfeld ist ähnlich weit gefasst. Von der Begleitung und Initiierung von Langzeit-Empowerment-Prozessen, über internationale Multiplikationsprozesse und partizipatives Mentoring sowie Trainings für Trainer, führt die energiegeladene Truppe auch selber kleine Performances an öffentlichen Plätzen durch oder organisiert regionale Treffen, Festivals und kulturelle Räume, um Debatten in der Gesellschaft anzuregen.
Um diese Arbeit nachhaltig zu gestalten, wird viel auf Kooperationen gesetzt (z.B. mit dem Netzwerk der Ma(g)dalenas Teatro de las Oprimidas). Aktuell am engsten verknüpft sind wohl die Projekte METOCA (Multiplicación y Exploración del Teatro del Oprimido en Centroamérica) und ‚Aquí me quedo’, ein Essens-Lieferservice mit umweltbewusstem Ansatz und dem Ziel, dass alle Einnahmen in die Umsetzung der sozialen Projekte fließen. Auch hier sind Freiwillige in der Küche oder bei der Entwicklung von Marketing-Strategien gern gesehen.
Die Aufgaben bei METOCA variieren je nach laufenden Projekten. Als erste deutschsprachige Freiwillige (bisher besteht reger Kontakt nach Frankreich) wird mir natürlich die Aufgabe von Übersetzungen zu Teil, aber auch die Dokumentation und Aufarbeitung von Material für Evaluations- und Präsentationszwecke. Homepagepflege oder soziale Netzwerke mit Artikeln und Berichten bestücken können genauso Aufgaben sein, wie Protestplakate gestalten und Performance-Ideen brainstormen und umsetzen. Je besser die Spanischkenntnisse und je länger der Zeitraum, desto besser können Freiwillige auch in die Workshop-Prozesse einbezogen werden.
Highlights und Schattenseiten- wo die Sonne scheint, fällt auch Schatten
Der letzte Punkt hat eigentlich schon angesprochen, was mich bisher als Einziges frustriert hat. Familienbedingt ist meine Zeit hier leider etwas eingeschränkt und auch mein Spanisch könnte definitiv besser sein. Dass ich in 1 ½ Monaten also wirklich eintauchen werde in die Methodik, wage ich noch zu bezweifeln. Denn da die Themen der Gruppen oft sehr persönlich und konfliktbesetzt sind, wird eine angemessen hohe Sensibilität des Teams an den Tag gelegt. In einen laufenden Prozess monatlich neue Freiwillige mitzubringen, ist aus nachvollziehbaren Gründen demnach nicht angedacht. Ich rate also jeder Person, die wirklich die pädagogische Arbeit miterleben will, Zeit und Geduld mitzubringen. Die öffentlichen Forum-Theater-Auftritte, die am Ende einer solchen Arbeit stehen können, durfte ich schon mehrfach miterleben und allein davon habe ich schon viel mitgenommen und bin völlig fasziniert.
Beim Forum-Theater zeigt eine Gruppe ein kurzes Stück mit realen Konflikten und Problemen. Nach der Aufführung wird das Publikum nach ihren Eindrücken und Empfindungen gefragt – meist spüren alle die Ungerechtigkeit, die gezeigt wurde! Dieses Gefühl bietet die Grundlage für einen Dialog über die gezeigte Situation und mögliche Lösungsstrategien. Gemeinsam wird also diskutiert und verschiedene Ideen ausprobiert. Dabei muss das Publikum selbst aktiv werden und nimmt gewisse Rollen ein, um eine Veränderung in der Handlung zu bewirken.
Es ist bemerkenswert, wie plötzlich – ausgehend von dem individuellen Schicksal des Protagonisten/der Protagonistin – eine gemeinsame System-Infragestellung stattfindet! Und wie durch eine spontane Aktion auf der Bühne andere Stellungen und Bewegungen initiiert werden, die (neue) Wege aufzeigen.
Kosten und Freizeit – was das Leben eben so kostet
Da die Asociación Atz’anem K’oj nicht mit kommerziellen Vermittlungsagenturen zusammenarbeitet, kostet der Aufenthalt lediglich was ein Leben und eine Reise nach Lateinamerika eben so kostet (Impfungen, Flug, etc.). Ich selbst habe da aber wahrscheinlich auch leicht reden, weil ich dank meines Studiums das große Glück eines Stipendiums habe. Für einen Monat Unterkunft und Essen in Xela habe ich oft den ungefähren Betrag von 300 Euro gehört. Ich habe meine Einkäufe nicht zusammengerechnet, aber das kommt glaube ich gut hin. Ich teile mir mit anderen Weltbürger*innen ein wunderschönes Haus mit Küche, Bad, bepflanztem Innenhof direkt neben dem Mercardo de las Flores und einer Salsa-Schule gegenüber in der zentralen Zona 1 für 125 Euro pro Monat. Dank der Lage muss ich so gut wie nie Transportkosten zahlen, denn das Büro liegt 5 Minuten Fußweg entfernt in der Nähe des Parque Central. Ebenfalls fußläufig erreichbar und besteigbar sind verschiedene Aussichtspunkte, um einen guten Überblick über die Ausmaße dieser belebten und doch ruhigen Hochland-Stadt zu bekommen. Für Ausflüge am Wochenende möchte ich auf die Quetzaltrekkers hinweisen, eine Gruppe Freiwilliger, die non-profit Trekkingtouren organisieren, um sozialen Projekte zu unterstützen.
Weiterempfehlung?
Wer ein energiegeladenes, lebhaftes und abwechslungsreiches Arbeitsumfeld liebt, ist hier genau richtig. In der Coficina (Büro-Küche) geht es munter zu und trotz der sehr ernstzunehmenden Themen ist das Team mit viel Humor und Spaß bei der Sache. Es wird Eigenverantwortung erwartet, aber irgendwer ist immer ansprechbar für Fragen. Auch außerhalb der Arbeit besteht ein enges Verhältnis untereinander und ich denke mit mehr Zeit, bietet die Asociación Atz’anem K’oj wirklich gute Möglichkeiten sich zu integrieren und eigene kreative Ideen einzubringen. Deine Meinung und dein Engagement sind gefragt und erwünscht. Dieser Zusammenschluss kritisch denkender Menschen ist offen für Veränderung!
Fotos © Asociación Atz’anem K’oj
Steckbrief
Name: Ronja
Alter: 27
Beruf: Sozialarbeiterin/Theaterpädagogin und Master-Studentin ‘Internationale Migration und Interkulturelle Beziehungen’
Tätigkeit: Volunteer bei der Asociación Atz’anem K’oj in Quetzaltengango, Guatemala
Homebase: Münster, Deutschland
Hast du schon einmal einen Freiwilligeneinsatz in Guatemala gemacht? Wie waren deine Erfahrungen und wie hast du den Aufenthalt organisiert? Wir freuen uns über deine Erfahrungen in den Kommentaren!
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