In diesem Interview stellen wir euch den gemeinnützigen Verein Grenzenlos vor. Die Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Wien möchte durch weltweiten Freiwilligenaustausch und interkulturelle Bildungs- sowie Integrationsprogramme die Völkerverständigung unterstützen. Die Organisation arbeitet dabei auf Selbstkostenbasis und die inhaltliche Programmarbeit wird hauptsächlich von ehrenamtlichen MitarbeiterInnen geleistet.
Christoph Mertl ist bei Grenzenlos einer der drei GeschäftsführerInnen und darüber hinaus in den Bereichen Marketing, Entwicklung, Publikationen, Mitgliederservice, Bildungsveranstaltungen und Entsendungen tätig. Zwischen all diesen Tätigkeiten hat er Zeit gefunden uns ein paar Fragen zu beantworten – wir möchten uns dafür herzlich bedanken und wünschen viel Spaß beim Lesen.
1) Was ist Grenzenlos?
Grenzenlos ist ein gemeinnütziger Verein, der sich der Friedensarbeit verschrieben hat. Wir versuchen dies durch weltweiten Freiwilligenaustausch, interkulturelle Bildungsprogramme und Integrationsprogramme zu erreichen.
Die wichtigste Vereinsaktivität ist die Entsendung und Aufnahme internationaler Freiwilliger bei NGO’s. Wir organisieren diese Austausche über internationale Dachorganisationen (ICYE, Alliance), um Seriosität und Qualitätsstandards zu sichern. Außerdem bieten wir Schulworkshops für mehr interkulturelle Offenheit an (grenzenlos@schools.org), ein Mentoringprogramm für ZuwanderInnen in Wien (Zusammen Leben) und verschiedene internationale Trainings.
2) Wie finanziert ihr euch?
Teilweise über EU-Programme (Europäischer Freiwilligendienst), teilweise über Projektförderungen, teilweise über Teilnahmebeiträge.
3) Welche Rolle spielt für euch der Begriff Nachhaltigkeit?
Eine Wesentliche. Nicht nur im ökologischen, sondern auch im inhaltlichen Sinn. Zum Beispiel: jemand, der ein halbes Jahr in einem Projekt in Afrika verbracht hat, wird später wohl kaum zum Rassisten werden. Und wird auch das Verständnis für die Wichtigkeit sozialen Engagements behalten.
4) Was bietet ihr für angehende Volunteer Reisende?
Zuerst einmal eine faire Abklärung, ob Grenzenlos-Projekte überhaupt das Richtige für InteressentInnen sind. Wir versuchen nicht, Volunteering möglichst vielen Leuten zu „verkaufen”, obwohl wir auch von Teilnahmebeiträgen abhängig sind – aber irgendwie geht sich’s immer aus, also haben wir keinen „Verkaufsdruck”. Wichtiger sind gute Rückmeldungen. Das kann man nie vorhersehen, aber man kann das Seine tun, die Erwartungen so realistisch wie möglich zu halten.
Zweitens gibt es eine Vorbereitung. Sie erfolgt über 3 Schienen: private Kontakte zu RückkehrerInnen aus dem jeweiligen Land, Seminartag(e) zu allgemeineren Themen und Unterstützung des Büros bei der Reiseorganisation. Außerdem gibt es Info-Seiten von Grenzenlos, nämlich grenzenlos.or.at über die verschiedenen Länder, Sprachen etc., und www.reisevorbereitung.at über das, was man sich vor dem Abreisen überlegen sollte. Diese Seiten sind natürlich in erster Linie für angehende TeilnehmerInnen gedacht, aber sie können von Jedem benutzt werden, der eine Reise plant.
5) Wie zielführend erachtet ihr kurze Volunteer Aufenthalte unter 4 Wochen?
Im Rahmen von Programmen, die genau darauf ausgerichtet sind, können solche Aufenthalte sinnvoll sein. Ein solches Programm sind Workcamps: hier lebt und arbeitet eine Gruppe internationaler Freiwilliger für 2-3 Wochen zusammen, betreut vom Team der lokalen Grenzenlos-Partnerorganisation. Es geht um Mikroprojekte, die für einen bestimmten Zeitraum angesetzt sind – zum Beispiel Arbeiten an Nationalparks, Festivals organisieren, einfache Renovierungsarbeiten etc. Der eigentliche Sinn ist die interkulturelle Erfahrung.
6) Wie steht ihr zum viel diskutierten Phänomen des Waisenhaustourismus?
Leider gibt es Organisationen, die Volunteering anbieten, um damit Geld zu machen – sowohl sendeseitig bei uns, als auch Waisenhäuser selbst, die per Internet Volunteers suchen (und dann finanziell ausnehmen). In beiden Fällen sind Waisenhäuser dann voller Volunteers, die viel zu wenig zu tun haben und sich irgendwann fragen, was sie hier eigentlich tun. Für die ernsthafte Freiwilligenbewegung sind solche Phänomene sehr schädlich, weil sie die ganze Bewegung in Verruf bringen.
7) Wie unterstützt ihr die Menschen in den Gastländern?
Wir sehen uns bewusst nicht als Hilfsorganisation – es geht um interkulturellen Austausch, also darum, eine fremde Kultur kennenzulernen. Dazu gehört der Projekteinsatz. Trotzdem ist es eine manchmal sehr substanzielle Hilfe, die die Freiwilligen in ihrem Projekt durch ihre Mitarbeit leisten. Vor allem sind sie auch Fenster zur Welt – für die Leute in den Projekten, für ihre Familien und viele andere, die sie während ihres Aufenthalts kennen lernen.
In einigen Fällen (Internationale Praktika) suchen wir auch qualifizierte TeilnehmerInnen, um bestimmte Partnerprojekte gezielt mit Skills zu unterstützen oder ihnen beim Aufbau zu helfen.
8) Was bedeutet für euch ‘tieferes Reisen’?
Wir verwenden diesen Begriff selten, denn er hat für uns zwei ganz unterschiedliche Bedeutungen. Einerseits geht es schlicht darum, eine fremde Gesellschaft von innen kennenzulernen – genau das versuchen wir durch unsere Freiwilligenprogramme zu ermöglichen. Hintergründig geht es aber eigentlich darum, was diese ersten Schritte zur Erfahrung kultureller Integration mit Dir machen. Dieses Thema ist bei der Nachbereitung wichtig, aber es gibt dafür keine bestimmten vorgegebenen Idealziele – denn die Tiefe der Erfahrung und die Frage, worin diese Tiefe besteht, ist sehr individuell, vom eigenen Erfahrungshorizont, von den eigenen Interessen und teilweise auch von der Aufenthaltsdauer abhängig.
Aber tieferes Reisen ist insofern die Leitidee unserer Freiwilligenprogramme, als sich die Kulturaustauschidee genau darum dreht und wir seit jeher versuchen, Leute mit rein touristischen Motiven schon im Vorfeld eher an Reisebüros weiterzuverweisen, weil Grenzenlos-Projekte hier nicht passen würden. Ganz wichtig ist, dass die Erwartungen stimmen – für die Partnerprojekte wie für die TeilnehmerInnen selbst.
Weitere Informationen unter www.grenzenlos.or.at
Fotos: © Grenzenlos
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