“Lass uns schnell die Welt retten!” Vom White Saviour und Kolonialherren in uns…
Heute geht’s ans Eingemachte. Diese Themen sind wichtig, aber auch schwierig, sie erfordern Mut zur Selbstreflexion. Nein, wir wollen euch aber nicht abschrecken sondern Interesse wecken und euch zum Nachdenken anregen.
Wer anderen einen Brunnen gräbt…
… leidet vielleicht am White Saviour Komplex. Der weiße Retter weiß alles besser, er glaubt seine Denkweise ist anderen überlegen und seine Kultur sollte überall vorherrschen.
Kulturimperialismus bedeutet die Herrschaft einer Kultur (oder Kulturen) über andere Kulturen, ein Machtgefüge, das oft von Nord nach Süd, von West nach Ost oder vom Zentrum in die Peripherie ausgeht. Das eigene (europäische) Denken als die Norm anzusehen und alles andere als „das Andere” – auch Othering genannt – ist eine weitere Form der Machtausübung und wird selten reflektiert. In unserem Schulsystem werden Inhalte auf eine bestimmte Weise vermittelt, Daten auf eine bestimmte Weise archiviert, wissenschaftliche Kriterien auf eine bestimmte Weise festgelegt und dieses Wissen wird uns als alternativlos vorgestellt. Wir lernen die europäische Geschichte aus der europäischen Perspektive und es fällt uns deshalb schwer, die Perspektive zu wechseln. Wer ein reflektierter Volunteer sein möchte, wird versuchen müssen, die eigene Herkunft und Denkweise zu hinterfragen und sich selbst einmal als „anders” zu betrachten beginnen.
Voluntourismus wird in der wissenschaftlichen Fachliteratur manchmal als neokolonialistische Aktivität bezeichnet. Das bedeutet, dass die koloniale Idee in anderer Kleidung weitergeführt wird, die Ergebnisse aber ähnlich sind. Voluntourismus Anbieter werben außerdem oftmals mit Stereotypen und nahezu rassistischen Bildmaterial für Volunteer Einsätze. Diese Bilder und Eindrücke werden dann von den Volunteers oft reproduziert, sprich, immer weiter verteilt.
Was ist Neokolionalismus?
Als Neokolonialismus wird ein System bezeichnet, in dem reichere Länder, wie zu den Zeiten der Kolonialherrschaft, ärmere Länder ausbeuten. So kann zum Beispiel politische Macht auf Länder des globalen Südens durch die USA und Europa ausgeübt werden, indem keine Kredite vergeben werden, Ressourcen ausgebeutet werden und sogar politischer Einfluss genommen wird. Die Weltbank und der Internationale Währungsfonds stehen besonders in der Kritik, dieses System zu erhalten und hauptsächlich die Belange der reicheren Länder zu unterstützen. Große multinationale Konzerne bekommen oft steuerliche Begünstigungen, wenn sie in Ländern des globalen Südens investieren oder produzieren. Auf die Bedürfnisse der Menschen im jeweiligen Land oder auf die Umwelt wird dabei selten geachtet, denn es geht um den Profit. Viele touristische Betriebe werden kritisiert, neokolonialistisch zu agieren. Internationale Hotelketten können beispielsweise in einem Land des globalen Südens sehr preiswert Grund und Boden erwerben, sehr günstig und ohne soziale Absicherung Arbeitskräfte für den Bau und später für den Betrieb des Hotels einstellen, günstig Strom und Wasser beziehen und von den Lebensmittelpreisen profitieren. Durch globale Abkommen dürfen sie ihre Profite dort versteuern, wo es für sie günstig ist. Die Hotelgäste freuen sich über die grüne Anlage und die tolle Poollandschaft – selten wird hinterfragt, ob der Wasserverbrauch Auswirkungen auf die Nachbarschaft hat.
Dies ist nur ein Beispiel, welches man auf den Voluntourismus umlegen kann. Manche Länder sind sehr beliebt für Volunteering und dementsprechend entsenden dutzende, oft hunderte Entsendeorganisationen ihre Volunteers dorthin.
Welche Rolle spielt Freiwilligenarbeit im Ausland und Voluntourismus?
Wenn ein Mangel an Projekten vorherrscht (z.B. Waisenhäuser) werden diese geschaffen. In der Hochsaison gibt es in der Region mehr Volunteers als Einheimische. Aus Mangel an Alternativen wird jede und jeder im Ort touristisch aktiv, da die anderen Arbeitsplätze (bei NGOs, Schulen, Kindergärten, Gärten, Baustellen, etc.) schon alle durch Volunteers besetzt sind. Genau wie zu Zeiten der Kolonialherren wird im Ort ein Klima geschaffen, das auf die Bedürfnisse der (zahlungskräftigen) Volunteers zugeschnitten ist. Es gibt Bars, Diskotheken und Burgerläden, man spricht Deutsch und Englisch und bleibt unter sich. Die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung bleiben auf der Strecke und dennoch wird dieses Thema möglicherweise noch weniger reflektiert als im Luxushotel – denn man ist ja hier um zu helfen und um etwas Gutes zu tun. Was „gut” für „die Anderen” ist, entscheiden wir. Wir meinen zu wissen, dass unser Bildungssystem das Beste ist, was dazu führen kann, dass MaturantInnen während ihres Volunteer Aufenthalts in einer Schule die dort jahrzehntelang angestellten LehrerInnen kritisieren. Uns gefällt der Müll der herum liegt nicht, können aber nicht auf die tägliche Dosa Cola verzichten. Wir meinen zu wissen, was am effektivsten ist und belehren GärtnerInnen über den Gemüseanbau. Wir wollen einen Brunnen bauen und kommen mit der Arbeitsgeschwindigkeit nicht zurecht – wir fragen uns keine Sekunde, welche Arbeitsgeschwindigkeit denn nun global „die Richtige” sei. Nein, unserem Eurozentrismus geschuldet, meinen wir „unsere” Geschwindigkeit sei die richtige…
Das ist der kleine Kolonialherr, der in uns schlummert – deshalb spricht man von Neokolonialismus.
Rassismen und Stereotypen
Laut Wikipedia bedeutet Rassismus eine Ideologie, die Menschen in Rassen einteilt, danach ihre Fähigkeiten und Eigenschaften bewertet und ihr eine biologische Bedeutung zuschreibt. Darauf aufbauend ermöglicht Rassismus die Unterdrückung von Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe. Kaum wird sich eine Volunteer Reisende als RassistIn bezeichnen, jedoch wird die Auseinandersetzung mit strukturellen Rassismus gerne vermieden. Wenn eine weiße Person behauptet, dass Rassismus heutzutage kein Thema mehr sei oder das so etwas wie Reverse-Rassismus (also Rassismus gegen Weiße) existiert, ist sie jedenfalls auf dem Holzweg und sollte dringend mit einer PoC über ihre Erfahrungen sprechen. PoC steht für Person of Color und bezeichnet nicht-weiße Menschen. Diese Bezeichnung wird vor allen von cricital whiteness AnhängerInnen verwendet. Als weiße Person kann man die systematische Benachteiligung von PoC schwer nachvollziehen, da man sie nie selbst erlebt hat. Man kann jedoch zumindest versuchen, dieses System zu verstehen.
Es gibt verschiedene Ansätze in der Rassismustheorie. Vereinfacht gesagt ist die Basis die Idee, dass innerhalb der Rasse Mensch noch unterschiedliche Rassen existieren. Die Auswirkung dieses Denkens hat bis heute zur Folge, dass Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe benachteiligt werden. Die Rassenlehre wurde (nicht nur) von den NationalsozialistInnen auf die Spitze getrieben und es wurde im Namen der Rasse „geforscht” und getötet. Für die Hautfarbe und das Aussehen ist ein minimaler genetischer Unterschied verantwortlich – so etwas wie eine Rasse ist beim Menschen in Wirklichkeit nicht existent. Rassismus allerdings ist allgegenwärtig.
Ein Stereotyp ist eine Beschreibung von Menschen oder Gruppen nach unseren Vorurteilen. Vorgefertigte Meinungen und alltagssprachliche Beschreibungen lösen Bilder in unseren Köpfen aus und führen dazu, dass wir eine gewisse Erwartungshaltung entwickeln. Oftmals, gerade beim Reisen, werden diese Erwartungshaltungen erfüllt und das stereotype Bild verfestigt sich – und/oder wir bemerken, wann und wo wir uns typisch deutsch oder typisch österreichisch verhalten, bzw. werden darauf hingewiesen. Diese Zuschreibungen lassen sich nicht von heute auf morgen aus unseren Köpfen löschen, allerdings kann man sehr wohl darauf achten, ob man Stereotype (beispielsweise bei der Berichterstattung über eine Reise – siehe dazu den Blogbeitrag über die Macht der Bilder) weiter reproduziert, oder ob man versucht, die Menschen im Gastland mehrdimensional darzustellen. Ein zweiter Blick und ein Gespräch können Vorurteile verschwinden lassen.
Was kann ich tun?
Als kritisch denkende Freiwillige kennst du deine Privilegien und reflektierst deine Handlungen als Reisende. Du informierst dich über dein Gastland und die Gebräuche, die sozialen, ökonomischen und kulturellen Hintergründe und über Dos und Dont’s. Du begegnest deinen GastgeberInnen mit Respekt und lässt dich nicht von Vorurteilen und Stereotypen vereinnahmen. Du bist offen für neue Begegnungen und Erfahrungen und wenn dir Handlungen ‘fremd’ erscheinen, hinterfragst du mögliche Gründe für diese Handlungen. Du bleibst neugierig und sprichst mit Einheimischen, lernst so die ‘Kultur’ besser kennen und du setzt dich auch mit deiner eigenen Herkunft kritisch auseinander. Überlege dir, welchen Eindruck du vermittelst, und welchen Eindruck du vermitteln möchtest. Du sprichst mit anderen Reisenden und und Freiwilligen über deren und deine Erfahrungen und du versuchst dein Wissen weiterzugeben. Wir unterstützen dich gerne, wenn du nicht mehr weiter weisst – kontaktiere uns direkt oder wirf einen Blick in unser Ebook ‘FAIRreisen statt verreisen – nachhaltig unterwegs als Volunteer’.
Hast du noch weitere Tipps? Möchtest du deine Erfahrungen mit uns und anderen LeserInnen teilen? Wir freuen uns über Kommentare!
tiefer…länger…nachhaltiger
Danke. Auf den Punkt.
Sehr guter Artikel! Hat mich zum Nachdenken angeregt. ?