In diesem Interview stellen wir das Portal Wegweiser Freiwilligenarbeit vor. Der Gründer Frank Seidel war so nett und hat uns einige Fragen beantwortet. Seit er 1991 selbst ein Praktikum in einem Naturschutzgebiet in Südfrankreich machte, beschäftigt er sich mit freiwilligem Engagement weit ab der Heimat, in der Vergangenheit auch als Autor des Buches “Jobben für Natur und Umwelt” oder als Marketing-Direktor einer weltweit agierenden Freiwilligenorganisation.
1) Was ist Wegweiser Freiwilligenarbeit und was genau macht ihr?
Wegweiser Freiwilligenarbeit ist ein unabhängiges Portal für flexible und sinnvolle Freiwilligenarbeit im Ausland. Kern unseres Angebots ist eine Datenbank von derzeit mehr als 350 Freiwilligen-Projekten in mehr als 50 Ländern auf allen Kontinenten. Wir führen diese Projekte nicht selbst durch, sondern geben unabhängigen Freiwilligen-Organisation (derzeit 22) die Möglichkeit ihre Projekte bei uns vorzustellen. Alle Möglichkeiten des freiwilligen Helfens in dieser Datenbank finden außerhalb geregelter Freiwilligendienste wie dem Europäischen Freiwilligendienst (EFD), oder auch dem deutschen weltwärts-Programm statt. Wir nennen das flexible Freiwilligenarbeit, weil die Volunteers nicht den strengen Rahmenbedingungen geförderter Programme (Bewerbung 6-12 Monate im Voraus, Mindestdauer von rund einem Jahr etc.) folgen müssen.
2) Welche Unterstützung, bzw. Vor- und Nachbereitung bietet ihr für die Freiwilligen?
Zum einen bietet unser Portal natürlich den Vorteil, das Personen, die an Volunteering interessiert sind, bei uns auf einer Site die Angebote vieler verschiedener Organisationen finden und nicht stundenlang im Internet surfen müssen. Die Programme einiger internationaler Partner-Organisationen finden sich im deutschsprachigen Web nur bei uns. Wir gehen aber noch viel weiter, weil es unser ausdrücklicher Vorsatz ist, qualitativ hochwertige Freiwilligen-Projekte zu fördern und zu einer Gesundung dieses Sektors beizutragen.
In diesem Rahmen haben wir u.a. den Ratgeber „Wegweiser Freiwilligenarbeit im Ausland – So wählen Sie die richtige Freiwilligen-Organisation aus“ erarbeitet. Dieser enthält eine Check-Liste mit rund 50 Kriterien, die es auch Personen, die zum ersten Mal Volunteering im Ausland machen wollen, ermöglicht eine Freiwilligen-Organisation besser einzuschätzen. Wenn die angehenden Freiwilligen über unser Portal mit den Organisationen Kontakt aufnehmen, bekommen sie außerdem eine Version dieses Ratgebers, in der die Check-Liste bereits für die Mehrheit der Kriterien ausgefüllt ist. Das spart natürlich viel Eigenrecherche und schließt gleichzeitig Fehlinterpretationen aus.
In diesem Ratgeber ermutigen wir die Freiwilligen außerdem, sich selbst darüber klar zu werden, warum sie Freiwilligenarbeit im Ausland machen wollen.
3) Wie wählt ihr die Freiwilligen-Organisationen auf dem Portal aus?
Wir überprüfen eine ganze Reihe von Kriterien, die wir u. a. auf unserer Site offen legen. Das fängt mit recht formellen Dingen an, wie z. B. der ordnungsgemäßen Registrierung oder der Frage, welche Strukturen hinter der Organisation stehen. Ganz besonders sehen wir uns aber natürlich an, welche Projekte durchgeführt werden, in wie weit es übergeordnete Leitlinien wie z. B. zum Kindesschutz gibt und wie die Organisation über die Projekt und ihre Arbeit kommuniziert.
Da müssen wir häufig zwischen den Zeilen lesen, denn wer etwas zu beschönigen oder gar zu verbergen hat, weiß heute, welchen Diskurs die Öffentlichkeit erwartet. Wir stützen uns auf mehr als 20 Jahre Erfahrung im Bereich Freiwilligenarbeit und unsere umfangreichen, internationalen Kontakte. Da wir sehr unterschiedliche Organisationen aufnehmen – von der kleinen Organisation im Zielland mit einer Handvoll von Projekten, bis zu großen Entsendeorganisation mit mehreren Tausend Freiwilligen im Jahr – ist es sehr schwierig universelle Kriterien festzulegen. Wir sind stolz, dass zahlreiche Organisationen bei uns Mitglied sind, die für ihre Freiwilligenarbeit internationale Preise gewonnen haben.
4) Wie ist eure Haltung zum Waisenhaus Tourismus?
Wir sehen das sehr kritisch und deswegen lassen wir auch keine Waisenhaus-Projekte auf unserem Portal zu. Leider hat es in den letzten Jahren weltweit eine starke Zunahme von Pseudo-Waisen-Häusern gegeben und Freiwilligenarbeit in Waisenhäusern ist zwar nicht der einzige, aber doch einer der Faktoren, die zu diesem Wachstum beigetragen haben. Es gibt durchaus sinnvolle Volunteer-Projekte in Waisenhäusern, aber wir sehen uns derzeit nicht in der Lage, auf die Distanz die Spreu vom Weizen zu trennen. Zum Glück gibt es viele Alternativen, wo es nicht diese Zweifel gibt, und deswegen empfehlen wir angehenden Freiwilligen auch, auf diese Alternativen auszuweichen.
Leider schmeißen viele Medienberichte alle Freiwilligen-Projekte in diesen Waisenhaus-Topf und kritisieren flexible Freiwilligenarbeit generell. Es ist wichtig zu verstehen, dass nicht in allen Projekten zwangsweise mit Kindern gearbeitet wird, und dass selbst da, wo Freiwillige mit Kindern arbeiten, diese Kinder sehr häufig feste Bezugspersonen wie ihre Eltern haben und dass sich deswegen z. B. die Frage nach Bindungs-Problemen dort ganz anders stellt.
5) Wie zielführend erachtet ihr kurze Volunteer-Aufenthalte unter 4 Wochen?
Da muss man als erstes fragen: was ist das Ziel von Volunteering? Häufig wird die Antwort auf nur einen Aspekt beschränkt, nämlich was die Freiwilligen vor Ort tun und ob dies nicht von anderen, z. B. Einheimischen, hätte besser gemacht werden können. Natürlich ist wichtig, dass ein Freiwilligen-Projekt nicht nur Lustbefriedigung für die Volunteers ist, sondern auch den Menschen und der Natur am Zielort nützt.
Für uns ist der Lernprozess während des ehrenamtlichen Engagements aber noch wichtiger und sollte deswegen auch das Hauptziel von Freiwilligenarbeit sein. Die meisten Probleme in den Zielländern haben ihren Ursprung in den Heimatländern der Freiwilligen, also hier bei uns in Europa, und deswegen muss sich auch hier in unserem Konsumverhalten und in unserer Politik etwas tun, damit „dort“ langfristig die Probleme gelöst werden. Und wir glauben, dass dahin gehende Einstellungsänderungen erheblich einfacher sind, wenn wir Europäer im Rahmen eines Projekts mit Einheimischen zusammen leben und dabei eine persönliche Beziehung zu unserem Gastland aufbauen. Das deutsche weltwärts-Programm z. B. ist ausdrücklich als entwicklungspolitischer LERNdienst angelegt und nicht als Entwicklungshilfe. Das Engagement sollte eigentlich mit der Rückkehr erst richtig anfangen.
Jetzt die zweistufige Antwort auf eure Frage nach der Zielerreichung bei kurzen Projekten: ja, wir glauben, dass der Lernprozess sehr wohl innerhalb von nur wenigen Wochen in Gang gesetzt werden kann. Länger ist zwar fast immer besser, aber auch bei kurzen Freiwilligen-Einsätzen haben wir schon häufig Aha-Erlebnisse beobachtet, die zu tiefgreifenden Einstellungs-Änderungen bei den Freiwilligen geführt haben.
Und was den Nutzen vor Ort angeht, ist unsere Meinung, dass man die Entscheidung in der Regel den Aufnahme-Projekten überlassen kann und sollte, ab welcher Dauer ein Einsatz sinnvoll ist. Die Schulen, NGOs, Schutzgebiete etc., die Freiwillige aufnehmen, haben dazu sehr wohl eine Meinung und sind in der Lage, diese Meinung auch gegenüber Freiwilligen-Organisationen zu artikulieren und einzufordern. Da gibt es durchaus unterschiedliche Meinungen. Dass z. B. ein Tierpflege-Projekt andere Anforderungen stellt als ein Projekt mit behinderten Kindern, wird jeder sofort verstehen. Aber selbst bei Projekten mit Kindern gibt es lokale Organisationen, die 2 Wochen als ausreichend ansehen. Bei Freiwilligen-Einsätzen, wo der Wissens-Transfer im Vordergrund steht, ist es sogar recht häufig, dass der Aufenthalt nur auf ein paar Wochen angelegt ist, nämlich die Dauer der Fortbildung der lokalen Mitarbeiter.
Die Länge des Aufenthalts hilft unserer Meinung nach nur oberflächlich weiter. Angehende Freiwillige sollten versuchen zu verstehen, welche Rolle das Aufnahme-Projekt bei der Ausgestaltung des Projekts hat. Unser Ratgeber gibt dabei übrigens Hilfestellung.
6) Was bedeutet für euch ‘tieferes Reisen’?
Das ist jetzt ja ein Begriff, den ihr geprägt habt, aber ich vermute mal, dass das interkulturelle und entwicklungspolitische Lernen, das bei Freiwilligenarbeit im Vordergrund stehen sollte, eurem Konzept sehr nahe kommt. Wir empfehlen übrigens ausdrücklich, die Unterbringung bei einer Gastfamilie anderen Möglichkeiten, wie Volunteer-Häusern u. ä. vorzuziehen. Im Austausch mit der Gastfamilie findet manchmal mehr statt, als bei der eigentlichen Freiwilligenarbeit.
7) Was habt ihr in Zukunft vor?
Wir werden weiter daran arbeiten, Freiwilligen zu helfen, die guten Freiwilligen-Projekte zu erkennen, und den Organisationen die Möglichkeit zu geben, die Qualität ihrer Arbeit zu kommunizieren. Es gibt noch viel Aufklärungs-Arbeit zu leisten. Als nächstes steht für uns z. B. auf dem Programm, den Löwen-Baby-Streichel-Projekten den Kampf anzusagen, die im südlichen Afrika der Trophäenjagd zuarbeiten.
Weitere Infos findet ihr auf der Website: Wegweiser Freiwilligenarbeit
Fotos © Frank Seidl
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