In diesem Interview beantwortet uns Andreas Drum (selbständiger Unternehmensberater) Fragen zum Thema Komplementärwährungen.
Wir bedanken uns herzlich für die spannenden Einblicke in diesen alternativen, ökonomischen Ansatz und wünschen viel Spaß beim Lesen!

1) Was genau ist eine Komplementärwährung?

Eine Komplementärwährung ist ein Zahlungsmittel, dessen Akzeptanz auf Freiwilligkeit basiert und als Ergänzung zum gesetzlichen Zahlungsmittel umläuft. Es sind Komplementärwährungen als Gutscheinsystem aber auch in bargeldloser/digitaler Form bekannt. Komplementärwährung treten mit unterschiedlichen Deckungskonzepten und Spielregeln in Erscheinung. Die Deckung kann durch den Eintausch gesetzlicher Zahlungsmittel (z.B. Regiogeld Chiemgauer, Regio), durch Güter und Dienstleistungen (z.B. LETS, Talente-Tauschkreise) oder durch nichts (z.B. Bitcoins) erfolgen.

2) Welche Vorteile bzw. Nachteile ergeben sich aus kombinierten Währungssystemen?

Komplementärwährung: ChiemgauerDie Vorteile von gesetzlichen Zahlungsmitteln sind, dass alle Personen per Gesetz verpflichtet sind, diese anzunehmen und dadurch die gleichen Regeln für alle Personen gelten, die an das Gesetz gebunden sind. Darüber hinaus gewähren die Gesetze einen normativen Mindeststandard.

Das Internet ermöglicht wiederum vielen Personen auf den globalen Märkten zu handeln. Daraus ergeben sich Differenzen in den Währungskursen und Mindeststandards einzelner Länder. Diese Preisdifferenzen ermöglichen Unternehmen Gewinnmargen im Handel. Der Preis einer Ware vermittelt allerdings nichts über die Lebensqualität aller Personen, die am Herstellungsprozess beteiligt sind. Die Lebens-, Arbeits- und Produktionsbedingungen der Näherinnen in Bangladesch, aber auch in der Logistik bei großen Online-Versandhändlern sind Beispiele für die Auswüchse dieser großen Transformation durch die Globalisierung in unserer Gesellschaft.

Wird eine Ware oder eine Dienstleistung in einer globalen Wertschöpfungskette hergestellt oder bezogen, fließt die Kaufkraft in eine andere Region ab und fehlt dadurch in der Region. Komplementärwährungen, wie das Regionalgeld bieten hier eine Alternative an, wie die Kaufkraft in der Region möglichst lange gehalten, die lokale Wirtschaft, die gemeinnützigen Vereine und ihre am Gemeinwohl orientierten Aktivitäten gestärkt werden können.

Die Transaktionskosten von Regionalgeld sind der fundamentale Nachteil gegenüber dem gesetzlichen Zahlungsmittel.
Allerdings wirken die Transaktionskosten als negativer Anreiz. Durch den negativen Anreiz wird eine Sensibilisierung und im Idealfall ein Umdenken in den Lieferketten gefördert. Es kann sich wieder lohnen, regionale Anbieter gegenüber globalen Anbietern zu bevorzugen. Die Umwelt würde in diesen Fällen, durch geringere Lieferstrecken entlastet und das Geld bliebe als Kaufkraft in der Region. Wird Regionalgeld in das gesetzliche Zahlungsmittel rückgetauscht, gibt es als Ausgleich eine Gebühr. Dadurch kann eine Wettbewerbsverzerrung zu Gunsten der regionalen Dienstleister und Produzenten stattfinden, die wiederum von Ökonomen als sehr kritisch gesehen wird. Weiters gibt es bei Regionalgeld eine Umlaufgebühr. Mit dieser Umlaufgebühr wird die Wertaufbewahrungsfunktion aufgehoben. Es gibt keinen Grund Regionalgeld zu horten, sondern einen negativen Anreiz, dieses möglichst schnell wieder auszugeben. Dies bewirkt beispielweise beim Chiemgauer einen nahezu viermal schnelleren Umlauf als durch den Euro. Die Gebühren im Regionalgeldsystem bewirken Wohlfahrtsverluste. Laut einer Studie der Bundesbank wirken sich diese allerdings nur marginal aus, da Regionalgeldsysteme nur im regional begrenzten Umfang eingesetzt werden und daher toleriert werden.

Auf lokaler Ebene haben sich sogenannte LETS-Systeme (Lokal Exchange Transaktion Systems) wie z.B. die Talente-Tauschkreise entwickelt. Hier tauschen die Personen Güter und Dienstleistungen auf Basis von Zeit. Dabei wird kein Unterschied in der Qualifikation oder Dauer der Ausbildung gemacht. Es gilt der Grundsatz, die Stunde Lebenszeit sei für alle Personen, die diesen Grundsatz anerkennen, gleich.
Auf familiärer, freundschaftlicher und nachbarschaftlicher Ebene gibt es das Phänomen, dass sich Menschen im Alltag häufig freundschaftlich ganz ohne Zahlungsmittel, Verrechnungseinheiten oder andere Formalitäten wechselseitig aushelfen und unterstützen.

3) Wie haben sich Komplementärwährungen historisch entwickelt?

Historisch hat sich das gesetzliche Zahlungsmittel aus den Komplementärwährungen entwickelt. Denken wir nur an den Naturalientausch. Der Bedarf der Gesellschaft nach immer mehr innovativen Gütern und Dienstleistungen beförderte eine zunehmende Arbeitsteiligkeit. Damit stieg der Koordinationsaufwand für die Personen, die spezialisierte Güter oder Dienstleistungen am Markt anzubieten hatten und den eigenen Bedarf decken wollten. Mit der Anforderung, dass dieser Koordinationsaufwand minimiert werden sollte, entwickelte sich Geld als einheitliche Messfunktion und Tauschmittel. Doch als Wertaufbewahrungsmittel waren Naturalien nur bedingt geeignet. Das Scheffel Korn ließ sich zwar aufbewahren, doch war das Aufbewahren verschiedenen Risiken wie z.B. Fraß durch Ungeziefer und Ungenießbarkeit durch Schimmel ausgesetzt. Die Edelmetalle Gold und Silber sind das klassische Münzgeld. Bei indigenen Völkern in Afrika, Amerika, Asien und im Südpazifik entwickelte sich das sogenannte Muschelgeld, das z.B. noch bis heute als Komplementärwährung „Tabu“ in Papua-Neuguinea neben gesetzlichen Zahlungsmittel „Kina“ akzeptiert wird.

Komplementärwährung: 1 Schilling des Wörgler SchwundgeldesAls historische Beispiele für das Regionalgeld ist der Wära Ende der 1920er Jahre in Schwanenkirchen/Deutschland und 1932 die Arbeitswertscheine in Wörgl/Österreich, welches in die Literatur als „Wunder von Wörgl“ einging. Wunder deshalb, da die Weltwirtschaftskrise auch Wörgl erreicht hatte und der Bürgermeister Unterguggenberger Projekte, durch die Ausgabe von umlaufgesicherten Arbeitsscheinen finanzieren und dadurch die Arbeitslosigkeit erfolgreich bekämpfen konnte. Beide Projekte wurden nach relativ kurzer Zeit von den jeweiligen Nationalbanken verboten.

4) Kannst Du ein paar aktuelle Beispiele für den Einsatz von Komplementärwährungen beschreiben?

Komplementärwährung: Chiemgauer VereinIm deutschsprachigen Raum ist der Chiemgauer in den Landkreisen Rosenheim und Traunstein derzeit die erfolgreichste Regionalwährung. Mit rund 900.000,- in Form von Gutscheinen und bargeldlosen Chiemgauern im Umlauf, 629 Akzeptanzstellen, 40 Ausgabestellen, 255 gemeinnützigen Vereinen, die mit rund 370.000,- Chiemgauern gefördert wurden, blickt der Chiemgauer auf eine beachtliche Leistungsbilanz. Der Regio e.V. hat die Spielregeln des Chiemgauer übernommen und gibt lokalen Regionalgeldinitiativen die Möglichkeit Regionalgeld zu etablieren. Ein aktuelles Beispiel ist in Freising der Bärling, der unter dem Dach des Regio e.V. pünktlich zum Weihnachtsgeschäft 2014 erstmals in den Umlauf kam. Sehr beachtlich ist die breite Unterstützung, die die Regionalgeldinitiative schon im Vorfeld der Gründung von lokalen Händlern, Unternehmensverbänden, Parteien und Vereinen erfahren hat. Der Regiogeld Verband vertritt die Interessen von über 30 Regionalgeldinitiativen in Deutschland, Österreich und der Schweiz und verzeichnet derzeit einen Rückgang von Euro gedeckten Regionalgeldern in Deutschland.

In der Schweiz gibt es seit 80 Jahren die WIR Bank Genossenschaft mit 60.000 TeilnehmerInnen und einer Bilanzsumme in Höhe von rund 4 Milliarden Schweizer Franken.

In Japan sind die gemeinnützigen Fureai-Kippu-Systeme zu nennen. Jüngere freiwillige Personen leisten für ältere Menschen Pflegedienste und können in Yen oder Zeitguthaben sparen. Die Zeitguthaben können auch auf andere Menschen übertragen werden. Auf diese Weise wird das Pflegesystem durch viele Freiwillige entlastet.

In Brasilien ist die Banco Palmas ein Vorzeigeprojekt und verdeutlicht welche Chancen die Menschen haben, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.

5) Welche Chancen ergeben sich durch den Einsatz von Komplementärwährungen für Entwicklungsländer?

Das Beispiel Banco Palmas zeigt wie es gelingen kann, durch die Ausgabe einer demokratisch organisierten Regionalwährung Produktionsmittel anzuschaffen, Arbeitsplätze in einem Armenviertel zu schaffen, zinsfreie Mikrokredite auszugeben, Einkaufsvorteile durch den gemeinsamen Einkauf an die Mitglieder weiterzugeben und die Lebens- und Arbeitsbedingung für die Bewohner eines Stadtteils zu verbessern.

 

Bildnachweis:

Bild 2: (CC) Unbekannt – Internet, http://de.wikipedia.org/wiki/Komplement%C3%A4rw%C3%A4hrung#/media/File:Freigeld1.jpg (17.04.2015)

Bild 3 und Beitragsbild: (CC) Mit freundlicher Genehmigung von Chiemgauer e. V.

 

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