„Hoch zu Ross durch den Regenwald, mit dem europäischen Zivil im Rucksack. (…) Ein Blick aus der Vogelperspektive verführt zu der Annahme, die oft komplexen Zusammenhänge verstanden zu haben. Man findet wahre Freunde, die offensichtlich nur darauf gewartet hätten, als solche entdeckt zu werden. Hinzu kommt die Schönheit der Berge, Palmenstrände, die Weite von Wüsten. Im Bedürfnis zu fühlen und zu spüren, setzen die gesellschaftspolitische Reflexion aus. Die Eindrücke verstellen den Blick auf die Verhältnisse, in denen die Menschen dort leben.“ (Hartmeyer 2012: 34)
Mit diesem etwas provokanten Zitat aus dem Buch Von Rosen und Thujen im Gepäck wollen wir heute einige Soziologen befragen und Antworten finden, warum wir so gerne vereisen. Was treibt uns an und warum, und wie erklärt die Wissenschaft dieses Phänomen?
Warum reisen wir?
Die Defizittheorie erklärt das Reisen als Flucht, die Reisenden möchten ihren Lebensverhältnissen zumindest für kurze Zeit entfliehen. Die Suche nach der Authentizität stellt ein weiteres Reisemotiv dar. Psychologische Erklärungsansätze definieren den Urlaub als Erholungsurlaub zum Stressabbau, zur Selbstverbesserung und Selbstergänzung oder die Urlaubsreise als Alternative zum Alltag. Spezielle Reisemotive stellen Gesundheit und Sex dar.
Max Weber und das Rationale Handeln
Max Weber’s Typologie des rationalen Handelns unterscheidet zwischen zweckrationalen, wertrationalen, affektuell-emotionalen und traditionalen Handeln. Zweckrationales Handeln ist beispielsweise die Planung einer Reise wo der „Aufwand“, dazu gehören u.a. Anreise, Kosten, etc., im richtigen Verhältnis zum Nutzen für die Reisenden stehen soll. Beim wertrationalen Handeln liegt der Wert im Reisen selbst und ist nicht als ökonomischer Wert zu betrachten. Affektuell-emotionales Handeln beschreibt den Umstand, dass das Reisen den Menschen in nicht alltägliche Situationen befördert und deshalb Emotionen freigesetzt werden. Als traditionales Handeln gilt die Handlungsform, die sich auf bereits gemachte Erfahrungen bezieht, indem beispielsweise immer der selbe Ort besucht wird.
Welche Bedeutung haben Interaktionen?
Der Symbolische Interaktionismus beschreibt die Bedeutungszuweisung durch Interaktionen, das kommunikative Handeln tritt in den Vordergrund. Selbstdarstellung, Rituale und der Rahmen bestimmen die Interaktion zwischen Reisenden und Bereisten. Um die Kommunikation untereinander zu erleichtern, verwendet der Mensch Rituale. Rituale können im Tourismus oftmals beobachtet werden, vom Begrüßungs- und Verabschiedungsritual bis hin zum täglichen Urlaubsbild auf Facebook. Auch Rahmen dienen dem Menschen als Anhaltspunkt in der Interaktion untereinander, eine Situation wird eingeordnet und bestenfalls wiedererkannt, neue, noch nicht „geframete“ Situationen treten jedoch im Tourismus vermehrt auf – das hat einen gewissen Reiz für die Reisenden.
Der Habitus und das Kapital
Pierre Bourdieu erklärt das Handeln der Menschen unter anderem mit dem Konzept des Habitus als Art des Verhaltens. Die Unterschiede im Habitus sind oft fein und nicht sofort zu erkennen, jedoch versuchen sich die Menschen durch gerade diese Unterschiede voneinander abzugrenzen. Das geschieht in der Regel durch das Akkumulieren von Kapital, welches ökonomisch, kulturell und/oder sozial sein kann. Der Tourist oder die Touristin möchte sein/ihr (Reise-)Kapital vermehren, die Mehrheit der Reiseerfahrungen kann als touristisches Kapital bezeichnet werden. Die Menge des touristischen Kapitals des Reisenden schlägt sich wieder in seinem Habitus nieder. Das Verhalten kann man besonders bei “viel-gereisten” Menschen beobachten, in jedem Hostel findet sich jemand der schon so oder so lange unterwegs ist und quasi schon überall war. Die obligatorische Frage: “how long have you been traveling…” zielt entweder auf Smalltalk ab, oder jemand will genau wissen wie viel Reisekapital man im Gepäck hat.
Tourismus als kommunikatives System?
Die Geschichte des Tourismus zeigt, dass sich die Form des Reisens mit der Industrialisierung und der damit einhergehenden Mobilisierung verändert hat. Mediale Inszenierungen, die Bildung von Klischees und Stereotypen sind ein wesentlicher Bestandteil des heutigen Tourismus. Die Medien und die dadurch produzierten Bilder spielen eine wichtige Rolle, da sie bestimmte Erwartungshaltungen auslösen. Doch trotz der totalen Informiertheit und der ständigen Vernetzung suchen die Reisenden unterwegs nach dem Authentischen.
Drifter oder postmoderne Reisende – Hipster unterwegs?
Die Theorie der Postmoderne löst sich von den Vorstellungen von Ordnung und Gesellschaft. Postmoderne Reisende zeichnen sich durch Ironie und Intertextualität aus, sie sind sich der Nicht-Authentizität des Reiseerlebnisses bewusst und lachen darüber. Die Hyperrealität des Tourismus wird sichtbar. Die Welten, die der Tourismus erschafft, werden vom Tourismus selbst zitiert, die Wirklichkeit wird ersetzt durch Traumlandschaften, welche durch das Kameraobjektiv der postmodernen Reisenden objektiviert werden. Das Reisen um des Reisens willen, das driften, also „in Bewegung bleiben“ gilt als Motiv des postmodernen Reisenden.
Kosmopoliten oder Global Citizens?
Schon während der Zeit der Aufklärung beschrieb Imanuel Kant die kosmopolitische Idee als Philosophie; dabei geht es darum, die ganze Erde als Heimat zu betrachten. Im 20. Jahrhundert gab es einerseits eine Bewegung von WeltbürgeraktivistInnen und andererseits den proletarischen Internationalismus (beispielsweise in der DDR und UdSSR). Das Konzept der WeltbürgerInnenschaft (also Global Citizenship) beruft sich auf die universalen Menschenrechte und fordert das Recht auf Mobilität, Teilhabe, Bildung, Frieden, offene Grenzen und eine intakte Umwelt für alle ein. Die Nationalstaaten werden dabei nicht von ihrer Verantwortung entbunden.
Als reisender Global Citizen ist man sich seiner Rechte und Pflichten bewusst, begegnet anderen Menschen mit Respekt und kann weltweit als BotschafterIn für eine bessere Welt agieren. Es geht darum, die eigenen Handlungen in größeren Kontexten zu reflektieren und darum etwas zu verändern.
Nun, liebe Leserinnen und Leser, welcher Homo Touristicus seid ihr?
tiefer…länger…nachhaltiger
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