Daniel Rössler, Soziologe aus Wien, ist seit acht Jahren in der Entwicklungszusammenarbeit tätig. Ferne Länder und Kulturen zogen ihn von jeher an, private und berufliche Reisen führten ihn um die ganze Welt. Während einem dieser Auslandseinsätze kam er mit den Schattenseiten des Freiwilligentourismus in Berührung. In seinem neuen Buch „Das Gegenteil von Gut…ist gut gemeint“ (Seifert Verlag, Wien 2015) wirft er einen kritischen Blick auf das bizarre Geschäft rund um westafrikanische Waisenhäuser – und zeigt, was wir damit zu tun haben. Wir hatten die Gelegenheit ihm sieben Fragen zu stellen.
Worum geht es in deinem Buch?
Es geht um Menschen, die reisen und gleichzeitig Gutes tun wollen. Es geht um eine Industrie, die aus diesem Wunsch ein Geschäft macht. Und es geht um afrikanische Kinder, die den Preis dafür zu zahlen haben. Weil sich immer mehr Menschen aus Europa in Afrika engagieren wollen, hat sich in den entlegenen Dörfern der westafrikanischen Savanne ein regelrechter Waisenhaus-Tourismus entwickelt. Welche bizarren Blüten dieser Voluntourismus treiben kann und welche Auswirkungen er mit sich bringt, das will ich mit „Das Gegenteil von Gut“ aufzeigen.
Wie bist du auf die Idee für dein Buch gekommen?
Die Idee ist eher zu mir gekommen. Ich habe im Jahr 2011 für acht Monate in Ghana gelebt, in einem kleinen Savannendorf im Norden des Landes. Als Leiter eines Entwicklungshilfeprojektes war es meine Aufgabe, gemeinsam mit meinem Team nachhaltige Vorhaben im Bildungs-, Wirtschafts- und Sozialbereich umzusetzen. Eine der wichtigsten Aufgaben war es, das Waisenhaus des Ortes zu schließen und die Kinder zurück in ihre Familien zu bringen. Da wurde ich das erste Mal mit einer absurden Realität konfrontiert: Es gibt in Ghana falsche Waisenhäuser, gefüllt mit Kindern aus normalen Familien! Warum neun von zehn „Waisenkindern“ nicht bei ihren Eltern und Geschwistern, sondern stattdessen in Institutionen aufwachsen, war eine Frage, die mich seitdem nicht mehr losgelassen hat…
…und die dich antrieb, ein Buch darüber zu schreiben?
Angetrieben hat mich vor allem die Wut. Denn kaum hatten wir es nach monatelanger, harter Arbeit geschafft, das Waisenhaus zu schließen und die Kinder wieder mit ihren Familien zu vereinen, schossen in den Dörfern der Umgebung neue Waisenhäuser wie Pilze aus dem Boden. Wegen der Nachfrage aus dem Westen wurden Familien auseinandergerissen, Kinder von ihren Eltern getrennt. Von da an wusste ich, dass ich das Problem recherchieren und an der Wurzel packen muss: Erst wenn im Westen Bewusstsein dafür entsteht, welche Auswirkungen unreflektierter Freiwilligentourismus haben kann, können wir dieser schädlichen Praxis einen Riegel vorschieben. Mit meinem Buch will ich einen Beitrag dazu leisten.
Wie stehst du nun persönlich zum Volunteering?
Freiwilligenarbeit ist an sich eine tolle Sache, sie kann eine echte Bereicherung für alle Beteiligten sein. Wenn die Auslandseinsätze professionell vorbereitet werden und sich am tatsächlichen Bedarf im Partnerland orientieren, dann können sie junge Menschen und ihre Skills sinnvoll in globale Entwicklungsarbeit einbinden. Wenn die Einsätze aber zu einem rein touristischen Produkt verkommen und – etwa in Kombination mit einem Badeurlaub oder einer Safari – unreflektiert konsumiert werden, dann ist Vorsicht geboten.
Was würdest du angehenden Volunteer Reisenden raten?
Gehe in dich und überlege genau, was du den Menschen in den Partnerländern anbieten kannst. Informiere dich über die Organisation, die den Einsatz anbietet und dich vermitteln soll. Und lass dich dabei nicht von Hochglanzbroschüren und tollen Internetauftritten blenden. Eine gute Auswahl an Qualitätskriterien für seriöse Freiwilligenarbeit findet sich unter anderem auf der Homepage von TourismWatch.
Was bedeutet Tieferes Reisen für dich?
Tieferes Reisen bedeutet für mich, nicht einfach oben zu schwimmen, sondern runter zu tauchen – unter die Oberflächen, manchmal auch gegen den Strom. Das kann anstrengend sein, manchmal auch gefährlich. Aber bisher bin ich noch jedes Mal belohnt worden. Ich habe geschwitzt, als ich mit einem Esel wochenlang durch das marokkanische Atlasgebirge gewandert bin, habe gefroren im Kajak, mit dem ich durch die Flüsse Polens paddelte, habe mir die Haut verbrannt nach Tagen auf einem thailändischen Fischkutter und die Ohren entzündet in den windigen Hochebenen des Himalaya. Jedes Mal habe ich mir gedacht: Warum tust du dir das an? Warum liegst du nicht einfach irgendwo am Strand und wartest, bis das All-you-can-eat-Abendbuffet eröffnet wird? Doch im Nachhinein bin ich heilfroh über jeden einzelnen dieser Momente, über jede einzelne der strapaziösen Erfahrungen. Denn sie sind es, die mich „tiefer reisen“ lassen. Wichtig ist, vor der Abreise eine bewusste Entscheidung zu treffen: Will ich Urlaub machen, oder will ich reisen?
Was hast du in Zukunft vor?
Immer wieder genau diese Entscheidung treffen: Gegen den Urlaub, für das Reisen.
Weitere Informationen unter: Das Gegenteil von Gut auf Facebook, Seifert Verlag, Verein Braveaurora
Fotos: © Daniel Rössler
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