In diesem Interview stellen wir euch SCI Österreich vor. Nach dem Motto ‘Volunteering for Peace’ verbindet die global agierende Organisation SCI (Service Civil International) Freiwilligenarbeit mit Friedensarbeit. Thomas Schallhart hat uns einige Fragen beantwortet, wir freuen uns diese spannende Organisation näher kennengelernt zu haben, bedanken uns für das Interview und wünschen viel Spaß beim Lesen!

1) Was ist SCI Österreich und was genau macht ihr?

SCI Volunteering for PeaceWir sind der österreichische Zweig der globalen Freiwilligen- und Friedensorganisation Service Civil International (SCI). Unsere Organisation versteht sich als gemeinnützig und ist weder politisch noch konfessionell gebunden. Der SCI wurde 1920 vom Schweizer Pazifisten Pierre Cérésole gegründet, der unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg Freiwilligenprojekte organisiert hat. Beim ersten Workcamp halfen Deutsche und Franzosen gemeinsam, das als Kriegsschauplatz vollkommen zerstörte Dorf Verdun wiederaufzubauen. In dieser Friedenstradition sehen wir uns noch immer: Wir organisieren Freiwilligenarbeit als Friedensprojekte.

Menschen aus unterschiedlichen Ländern, Kulturen und Hintergründen leben, arbeiten, lernen und diskutieren zusammen in einem vorab definierten Zeitrahmen (meist zwei bis vier Wochen) und unterstützen gleichzeitig eine immer vor Ort initiierte Organisation oder Initiative mit gemeinnützigem Hintergrund. Solche “Workcamps” organisieren wir als österreichischer Zweig seit 1947 in Österreich, etwa in Zusammenarbeit mit Projektpartnern wie dem Nationalpark Donau-Auen, den Dolomitenfreunden, dem WWF oder der Jungen Volkshilfe, wir schicken aber auch Menschen mit Wohnsitz in Österreich zu derartigen Projekten anderer SCI-Zweige und -Partner in über 90 Ländern. Zunehmend organisieren wir auch Bildungs- und Fortbildungsprojekte, etwa in den Bereichen Klimagerechtigkeit (klima.gerecht) und nicht-formelles Lernen (NFE at the Mirror), und setzen uns auf verschiedene Wege für eine gerechtere Welt ein.

 2) Wie finanziert ihr euch?

Größtenteils gar nicht. Erst seit November 2014 haben wir eine für sechs Wochenstunden angestellte Bürokraft, fast alle Vereinsaktivitäten werden von Ehrenamtlichen umgesetzt, meist StudentInnen, die selbst an Workcamps teilgenommen haben, begeistert waren und sich jetzt dafür einsetzen, die Idee dahinter auch nach Österreich zu tragen und bekannter zu machen. Unsere Büromiete, Kosten für Flyer u.ä. finanzieren wir über die Teilnahme- und Mitgliedsgebühren, die wir von den außerhalb Österreichs verschickten Freiwilligen erhalten. Unterkunft und Verpflegung unserer Workcamps in Österreich werden, wie das in unserem Netzwerk Usus ist, von den Projektpartnern finanziert. Für einzelne Projekte erhalten wir Förderungen der Europäischen Kommission oder Landesförderungen.

3) Was ist der Unterschied zwischen einem Workcamp und einem Volunteer Aufenthalt?

SCI Österreich WorccampIm Grunde verstehen wir auch unter “Workcamp” ein Freiwilligenprojekt und damit einen Volunteer Aufenthalt. Manche SCI-Zweige haben das Wort “Workcamp” wegen der eigenartigen Assoziationen, die das Wort mit sich bringen kann, vollkommen aus ihrem Auftreten entfernt und sprechen nur noch von “Freiwilligencamps” (volunteering camps). Der Unterschied des Workcamps zu vielen anderen Programmen ist, dass es nicht nur um die individuelle Selbsterfahrung des oder der Freiwilligen geht, sondern vor allem um den Austausch in der internationalen Gruppe und mit dem lokalen Projektpartner. Dabei grenzen wir uns stark von Begriffen wie “Entwicklung” und “Hilfe” (oder der Kombination aus beidem) und den postkolonialen Machtstrukturen dahinter ab. Unsere Workcamps im globalen Süden, in Nigeria, Peru oder Thailand, werden genauso von engagierten Freiwilligenorganisationen vor Ort organisiert. Wenn ein nigerianischer Freiwilliger bei einem Workcamp in Österreich mitarbeitet, würde auch niemand auf die Idee kommen zu sagen, er leiste in Österreich Entwicklungshilfe.

4) Was bedeutet Friedenserziehung für euch?

Wir haben einen sehr breiten Zugang zum Begriff Frieden. Unter Friedenserziehung verstehen wir vor allem das Schaffen einer Kultur des Friedens, also z. B. einer gewaltfreien Kommunikation, dem Abbau von diskriminierenden Stereotypen, dem respektvollen Umgang mit Ressourcen und der Umwelt, den Aufbau internationaler Kooperationen und der Stärkung von Menschenrechten. Gleichzeitig ist uns im SCI vor allem aus unserer Tradition als explizite Friedensorganisation auch das Prinzip “No More War” sehr wichtig und wir setzen uns mit verschiedenen Projekten dafür ein, dass vor allem junge Menschen die Gräuel der aktuell stattfindenden und vergangenen Kriege verstehen, reflektieren und kritisieren lernen.

2015 haben wir etwa eine europaweite Kampagne namens “Memory Beyond Rhetorics”, in der es um einen kritischen Zugang zum Gedenken des Ersten Weltkriegs in Europa geht, um ein Hinterfragen des Heldenmythos und der bis heute spürbaren politischen Auswirkungen. Der SCI Österreich wird dabei stark mit dem SCI Italien zusammenarbeiten und im Rahmen eines gemeinsamen “Study Camps” an der österreichisch-italienischen Grenze die Wirkung des Ersten Weltkriegs auf nationalistische und faschistische Strömungen in den beiden Ländern behandeln.

5) Wie zielführend erachtet ihr kurze Volunteer Aufenthalte unter 4 Wochen?

SCI ÖsterreichUnser Hauptaugenmerk liegt ja auf der Organisation und Vermittlung von kurzen Freiwilligeneinsätzen von meist zwei Wochen. Solche Einsätze sind als in sich abgeschlossene Projekte angelegt und können als solche auch eine große Wirkung erzielen. Gemeinnützige Organisatonen und Initiativen, die sich bestimmte Arbeiten finanziell nicht leisten können (z.B. Pflegemaßnahmen in Naturparks oder Nationalparks), erhalten so eine wichtige Unterstützung. Wichtig ist vor allem, den Aufenthalt als befristetes Projekt zu konzipieren und das so auch an alle Teilnehmenden und involvierten AkteurInnen zu kommunizieren.

 

6) Was bedeutet für euch ‘tieferes Reisen’?

“Tieferes Reisen” heißt, sich von seinem Ausgangsort wegzubewegen und andere Orte in ihrer Vielschichtigkeit wahrzunehmen, und vor allem heißt es für mich, sich auch aus gewohnten Wahrnehmungsmustern herauszubewegen und nicht einfach nur Klischees der “Fremde” gleich einer Liste nacheinander abhaken zu wollen.

7) Was habt ihr in Zukunft vor?

Ein wichtiges Projekt für das Jahr 2015 wird eine Kampagne sein, in der wir rassistische und postkolonialistische Bilder von Freiwilligenarbeit in Europa thematisieren werden, z. B. die Machtstrukturen visueller Darstellungen von weißen Freiwilligen im globalen Süden, das Helfersyndrom junger Menschen und exotisierende Sprache von Freiwilligen aus dem globalen Norden im globalen Süden. Ansonsten wollen wir einfach mehr Menschen in Österreich von der Idee von Workcamps begeistern und mehr ehemalige Freiwillige dazu anregen, diese Idee gemeinsam mit uns auch nach Österreich zu tragen, um hier interessante und kritische Projekte zu schaffen. Besonders stolz sind wir nächstes Jahr auf unser Schreib-Workcamp “Wikipedia for Peace” in Kooperation mit Wikimedia Österreich und die Förtführung unserer Dreiländer-Jugendinitiative “River Jump! 3 Nations, 1 Nature” zur Bewusstseinsbildung für die March-Thaya-Auen.

Weitere Informationen findet ihr unter: www.sci.or.at und auf Facebook.

Fotos: © SCI Österreich

 

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